Die aktuelle Vorhersage des Bundesamtes für Strahlenschutz nutzt 6.252 Messungen des geogenen Radonpotentials in Deutschland, um jeweils für Flächen in der Größe von 10 Kilometer mal 10 Kilometer das durchschnittliche geogene Radonpotential abzuschätzen. Die Einteilung der Flächen ergibt sich durch ein Koordinatensystem, das von der Europäischen Union für eine eindeutige geografische Zuordnung von Umweltdaten in Europa empfohlen wird.
Die verwendete sogenannte „GISCO Lambert Azimuthal Equal Area Projection“ hat ihren Koordinatenursprung bei 9 Grad östlicher Länge und 48 Grad nördlicher Breite. Anhand dieses Bezugspunktes kann das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eindeutig gleichmäßig in Zellen von 10 Kilometer mal 10 Kilometer aufgeteilt werden.
Nach der Schätzung des durchschnittlichen geogenen Radonpotentials für jede einzelne Zelle liefert ein zweites statistisches Verfahren einen Zusammenhang zwischen der Höhe des Radonpotentials und der Wahrscheinlichkeit für Gebäude mit erhöhten Radonwerten. Dieses zweite Verfahren vermag mit einer bestimmten statistischen Sicherheit vorherzusagen, wie viele Gebäude in einer Zelle den gesetzlichen Referenzwert für Radon in Aufenthaltsräumen und an Arbeitsplätzen vermutlich überschreiten. Hierauf gründet die Festlegung der Radonvorsorgegebiete in Baden-Württemberg.
- Schritt 1: Abschätzung des geogenen Radonpotentials für jede einzelne Zelle
- Schritt 2: Ableitung des Radonpotentials für Radonvorsorgegebiete
Ob sich diese Vermutungen bewahrheiten und um welche Gebäude es sich tatsächlich handelt, können nur Messungen zeigen. Die aktuelle Vorhersage des Bundesamtes für Strahlenschutz nutzt Radonmesswerte aus bundesweit 43.876 Gebäuden, um den Zusammenhang zwischen einem Radonpotential und der Wahrscheinlichkeit für Gebäude mit erhöhten Radonwerten herzustellen. Je mehr Radonmessungen sowohl für das geogene Radonpotential als auch aus Gebäuden vorliegen, desto genauer werden die Vorhersagen. Möglicherweise lassen sich in Zukunft auch andere mathematische Verfahren und Methoden anwenden, um die Situation regional und kleinräumiger besser ab- und einzuschätzen. Daher sieht das Strahlenschutzrecht vor, festgelegte Radonvorsorgegebiete regelmäßig zu überprüfen, zu bewerten und erforderlichenfalls anzupassen.
Die Methode des Bundesamtes für Strahlenschutz ordnet die Messwerte des geogenen Radonpotentials 52 geologischen Einheiten zu. Diese Einteilung beruht auf 194 Einheiten in der Geologischen Karte der Bundesrepublik Deutschland im Maßstab von 1 zu 1.000.000 (1 Zentimeter auf der Karte entsprechen 1.000.000 Zentimeter = 10 Kilometer in der Realität) und ist anhand von Radon-Gesichtspunkten zusammengestellt. Für jede der 52 geologischen Einheiten errechnet sich aus den zugeordneten Messwerten ein Mittelwert für das geogene Radonpotential. Die Methode verwendet das geometrische Mittel der Radonpotentiale.
Damit Messwerte aus unterschiedlichen geologischen Einheiten statistisch mit einander verrechnet werden können – ohne sprichwörtlich „Äpfel mit Birnen zu vergleichen“ –, müssen die Messwerte rechnerisch von der zugrundeliegenden Geologie unabhängig werden. Dies gelingt, in dem jeder einzelne Messwert durch den geometrischen Mittelwert der zugehörigen geologischen Einheit geteilt wird. Die Messwerte sind dann sozusagen „normiert“.
Damit große normierte Zahlenwerte gegenüber kleinen normierten Zahlenwerten bei dieser Schätzung das Ergebnis nicht zu stark beeinflussen, verwendet die genutzte Methode logarithmierte Zahlenwerte. Das heißt, jeder einzelne normierte Zahlenwert erfährt durch den Logarithmus eine mathematische Umwandlung.
Schätzverfahren „Ordinary Kriging“
Die aktuelle Vorhersage verwendet als Schätzverfahren das sogenannte „Ordinary Kriging“. Beim Kriging handelt es sich allgemein um ein (geo-)statistisches Verfahren, das in der Umgebung von Messwerten und abhängig von der Entfernung der Messwerte zueinander Werte für dazwischenliegende Orte oder Flächen abschätzt. Das Verfahren ist nach dem südafrikanischen Bergbauingenieur Danie Krige genannt. Danie Krige gilt als Pionier, wenn es darum geht, aus einer Anzahl von Messpunkten die räumliche Verteilung der geologischen Verhältnisse für den Bergbau vorherzusagen und zu erkunden.
Mittlerweile sind verschiedene Kriging-Verfahren entwickelt und bekannt. Die in der
Veröffentlichung des Bundesamtes für Strahlenschutz aus dem Jahr 2018 genannte Sequentielle Gauß´sche Simulation gehört ebenfalls dazu. Die größere Anzahl an Messwerten (6.252 gegenüber bisher 3.741) führt mit dem „Ordinary Kriging“ zu einer besseren Abschätzung als mit der Sequentiellen Gauß´schen Simulation. Am grundlegenden Vorgehen ändert sich nichts.
Das „Ordinary Kriging“ liefert für jede einzelne Zelle einen Schätzwert. Das Radonpotential einer Zelle errechnet sich dann aus der mathematischen Rückumwandlung des Logarithmierens dieses Schätzwertes und der anschließenden Multiplikation mit dem geometrischen Mittelwert des Radonpotentials der zugrundeliegenden Geologie. Maßgebend dafür ist die geologische Einheit, die in der Zelle hauptsächlich vorkommt.
Auf diese Weise entsteht eine Deutschland-Karte, die für 3.542 Zellen das jeweilige geogene Radonpotential vorhersagt.
Die Vorhersage über das geogene Radonpotential in den einzelnen Zellen (10 Kilometer mal 10 Kilometer) trifft noch keine Aussage darüber, ab welchem Zahlenwert (Grenze) eine Zelle als Radonvorsorgegebiet anzusehen ist. Diesen Zahlenwert ermittelt ein zweites statistisches Verfahren. Es ist unabhängig vom (geo-)statistischen Verfahren des „Ordinary Kriging“ (Schritt 1) und untersucht, wie zwei verschiedene Mess- oder Schätzgrößen statistisch zueinanderstehen.
Die eine Schätzgröße stellt das geogene Radonpotential dar, die andere die Wahrscheinlichkeit für das Überschreiten des Radon-Referenzwertes in Gebäuden einer Zelle. Letztgenannte wird aus vorhandenen Radoninnenraumluftwerten abgeschätzt. Für jedes Radonpotential der Zellen wird der Anteil an Gebäuden mit erhöhten Radonwerten an der Gesamtzahl der gemessenen Gebäude bestimmt. Auf diese Weise liegt für jede der 3.542 Zellen in Deutschland ein Zahlenpaar aus Radonpotential und Überschreitungswahrscheinlichkeit (hier gleichgesetzt mit der beobachteten Überschreitungshäufigkeit) des Radon-Referenzwertes in Gebäuden vor.
Receiver-Operating-Characteristics-Methode
Die sogenannte Receiver-Operating-Characteristics-Methode (kurz: ROC-Methode) ordnet diese Zahlenpaare nach ihren Werten vier Gruppen zu und untersucht, wie sich die Verteilung der Zahlenpaare auf diese Gruppen ändert, wenn sich eine gewählte Grenze zwischen einem „Hohen Radonpotential“ und einem „Niedrigen Radonpotential“ zahlenmäßig verschiebt.
| Hohes Radonpotential | Niedriges Radonpotential |
Hohe | Richtig | Falsch |
Niedrige | Falsch | Richtig |
Die Einteilung der Zahlenpaare in „Hohe“ und „Niedrige Überschreitungswahrscheinlichkeiten“ ändert sich dabei nicht. Sie ist durch die Vorgabe festgelegt, dass Radonvorsorgegebiete eine mindestens zehnprozentige Überschreitungswahrscheinlichkeit für den Radon-Referenzwert in Gebäuden aufweisen müssen (= hohe Überschreitungswahrscheinlichkeit).
Vereinfacht gesagt, ist die bestmögliche Grenze für das Radonpotential gefunden, wenn sich möglichst wenige Zahlenpaare in der Gruppe „Falsch Negativ“ (Fehler 1. Art) beziehungsweise in der Gruppe „Falsch Positiv“ (Fehler 2. Art) befinden. Der Fehler 1. Art beschreibt dabei den Anteil der fälschlicherweise festgelegten Radonvorsorgegebiete (Falsch), obwohl das Kriterium einer hohen Überschreitungswahrscheinlichkeit nicht erfüllt ist (Negativ). Der Fehler 2. Art gibt umgekehrt den Anteil an fälschlicherweise nicht festgelegten Radonvorsorgegebieten (Falsch) an, die dieses Kriterium aber erfüllen (Positiv).
Das Umweltministerium hat für den zulässigen Fehler 1. Art einen Wert von maximal zehn Prozent gewählt. Das heißt, die Radonvorsorgegebiete in Baden-Württemberg sind mit einer mindestens 90-prozentigen statistischen Sicherheit festgelegt worden. Dies entspricht einer Grenze für das geogene Radonpotential für Radonvorsorgegebiete von 44 und höher. Der Fehler 2. Art spielt bei dieser Betrachtung keine Rolle.