IT-Geräte sind über die Jahre effizienter geworden, sie brauchen also relativ gesehen weniger Strom zur Erledigung der gleichen Aufgabe. Gleichzeitig benötigt aber die zugrundeliegende Software immer mehr Energie. Effizienzgewinne in der Hardware werden somit durch „aufgeblähte“ Softwareprogramme überkompensiert. Zudem führen energieintensive Softwareprodukte dazu, dass Hardware schneller veraltet beziehungsweise zwingen dazu, Hardware häufiger neu zu kaufen – ein bekanntes Beispiel sind Smartphones. Dieser Tatsache tragen die 2020 veröffentlichten Vergabekriterien des „Blauen Engels für ressourcen- und energieeffiziente Softwareprodukte“ Rechnung.
Die Kompetenzstelle Green IT ließ anhand eines konkreten Beispiels untersuchen, wie die Kriterien praktisch umgesetzt werden können. Ziel war nicht die Zertifizierung des ausgewählten Softwareprodukts selbst, sondern praktische Erfahrungen mit den Blauer-Engel-Kriterien zu gewinnen und mögliche Hürden für die Softwareentwicklung aufzudecken. Das Projekt wurde von der Disy Informationssysteme GmbH zusammen mit der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) durchgeführt.
Der Blaue Engel für ressourcen- und energieeffiziente Software stellt Anforderungen an verschiedene Leistungsmerkmale des Programms und – über die Sicherstellung der Updatefähigkeit – an die potentielle Nutzungsdauer der verwendeten Hardware. Neben der Ressourceneffizienz ist auch gefordert, dass die Software autonom genutzt werden kann.
Für den Bereich der Ressourcen- und Energieeffizienz werden vorerst keine quantitativen Mindestanforderungen gestellt, da bislang Messmethoden und Benchmarks fehlen. Ein Update ist hier aber seitens des Umweltbundesamts in Aussicht gestellt. Gefordert wird, verschiedene Werte eines typischen Nutzungsszenarios der Software auf einem definierten Testsystem zu messen. Dazu zählen die elektrische Leistungsaufnahme (Stromverbrauch) sowie die Inanspruchnahme der Hardware mit den Parametern Prozessorauslastung, Nutzung des Arbeitsspeichers, des Permanentspeichers und die beanspruchte Bandbreite des Netzwerks.
Die autonome Nutzbarkeit der Software wird geprüft über den Nachweis einer transparenten Dokumentation und über offene Datenformate, über kontinuierliche Sicherheitsupdates und Abwärtskompatibilität sowie über eine einfache Handhabung hinsichtlich Deinstallation, Offlinenutzung und Werbefreiheit.
Die Vergabekriterien beziehen sich in der aktuellen Version des Blauen Engel auf Anwendungssoftware, die über eine Benutzerschnittstelle verfügt und auf einem PC lauffähig ist. Derzeit noch ausgespart sind Softwareprodukte, bei denen der überwiegende Teil der Rechenarbeit nicht auf dem lokalen Computer (Client) erbracht wird, sondern auf Server ausgelagert ist.
Als erste Hürde im Projekt stellte sich die Tatsache dar, dass die aktuelle Version des Blauen Engel für Software nicht für Client-Server-Produkte ausgelegt ist. Der überwiegende Teil der Fachanwendungs-Software, die in der Umweltverwaltung Baden-Württemberg zum Einsatz kommt, ist aber genau als solche konzipiert. Die Wahl fiel daher auf die Software „Cadenza“ der Disy Informationssysteme GmbH, die sowohl auf einem zentralen Server gehostet als auch als Desktopanwendung installiert werden kann.
Die getesteten Funktionen der Software konzentrierten sich im für das Projekt definierten Nutzungsszenario auf die Visualisierung von Geodaten in Karten und Tabellen. Die Geodaten selbst lagen während der Tests auf einem externen Server. Es wurden bewusst große Datenmengen abgefragt, um gut messbare Auslastungen zu erhalten. Energiemessungen wurden pragmatisch und mit handelsüblicher Gerätetechnik durchgeführt, da die Analyse nicht für eine tatsächliche Zertifizierung gedacht war, sondern um generelle Erfahrungen zu sammeln.
Wie viel Strom verbraucht wird, wenn eine Softwareanwendung läuft, wird in den wenigsten Fällen ermittelt. Dabei können solche Ergebnisse helfen, das Programm zu verbessern. In einem Projekt im Auftrag des Umweltbundesamts konnte durch solche Messungen gezeigt werden, dass bei bestimmten Softwareprodukten beträchtliche Leerlaufprozesse stattfinden, die zu einem überflüssigen Stromverbrauch führen.
Gröger, J., Köhler, A. et al. (2018): Entwicklung und Anwendung von Bewertungsgrundlagen für ressourceneffiziente Software unter Berücksichtigung bestehender Methodik. [PDF]
Herausgeber: Umweltbundesamt, Texte 105/2018.
In der Machbarkeitsstudie zeigten die Messungen des Stromverbrauchs während der Durchführung des Nutzungsszenarios, dass die untersuchte Software erfreulicherweise keine Leerlaufprozesse ausführt. Nach Einschätzung der Projektpartner können solche Messungen dabei helfen, Software zu identifizieren, deren Leerlaufauslastung auffällig ist oder deren Energieverbrauch nach einer Nutzeraktivität längere Zeit nicht auf die Basislinie zurückfällt.
Auch andere Auffälligkeiten in der Beanspruchung von Arbeitsspeicher und Netzwerkbandbreite wurden nicht gemessen. Im Ergebnisbericht wird empfohlen, bei tatsächlicher Zertifizierung ein dauerhaftes Testsystem aufzubauen und Messungen besser nicht von der Softwareentwicklungsseite selbst durchführen zu lassen, um Unabhängigkeit zu gewährleisten.
Die Anforderungen des Blauen Engel an die Produkt-Dokumentation, die auch öffentlich auf einer Internetseite erfolgen soll, erwiesen sich als weitgehend unproblematisch. Dies gilt auch für Anforderungen an bestimmte technische Funktionen: die Software soll unter anderem einfach und rückstandslos deinstalliert oder offline gesetzt werden können.
Kritischer beurteilt wurde die Forderung des Blauen Engel nach Sicherheitsupdates für bis zu 5 Jahre alte Software. Im Fall der getesteten Software, die laufend gepflegt und erweitert wird, werden bis zu 2 Neuversionen im Jahr ausgeliefert. Somit wären hier für bis zu 10 Versionen Sicherheitsupdates vorzuhalten, was hohe Aufwände und die Verpflichtung zur Pflege gegebenenfalls veralteter Technologien bedeuten würde. Prozess- und – eventuell auch energetisch relevante – Performanceverbesserungen von Neuversionen könnten so unter Umständen auch erst verzögert wirksam werden.
Der Blaue Engel für Software stellt zusätzlich Anforderungen an die Zeit während der Zeichennutzung. Die Projektteilnehmer haben die allgemeine, nicht näher spezifizierte Verpflichtung, Maßnahmen zur Verbesserung der Energie- und Ressourceneffizienz einzuführen zumindest bei umfangreichen Softwareprodukten als schwierig eingeschätzt. Softwarecode besitzt grundsätzlich sehr viele Anforderungen und Abhängigkeiten und eingesetzte Personal- beziehungsweise finanzielle Ressourcen sollten ihrer Meinung nach in Relation zur dadurch erreichten Effizienzsteigerung stehen. Als zielführender wurde daher empfohlen, Anbieter von Softwareprodukten nicht zur permanenten Optimierung zu verpflichten, sondern stattdessen zu einem regelmäßigen Bericht über Untersuchungen von Verbesserungspotential mit Erörterung möglicher Maßnahmen.
Die Projektergebnisse als Übersicht
Anforderungen des Blauen Engels für Software | im Projekt ermittelter Aufwand | Anmerkungen aus Projektsicht |
---|---|---|
Auslastung im Leerlauf | gering | Hierdurch können Auffälligkeiten identifiziert werden. |
Auslastung im Standardnutzungsszenario | mittel | Die Messungen sollten idealerweise nicht vom Hersteller durchgeführt werden, um Manipulation der Messergebnisse vorzubeugen. |
erforderliche minimale Systemvoraussetzungen | gering | |
Datenformate | gering | |
Schnittstellen (offene Standards) | gering | |
Modularität | gering | |
öffentliche Dokumentation | mittel | |
Deinstallierbarkeit | mittel | |
Offlinefähigkeit | mittel | |
Sicherheitsupdates | gegebenenfalls unverhältnismäßig hoch | Sicherheitsupdates für alle Versionen der letzten fünf Jahre können einen nicht abschätzbaren, unverhältnismäßig hohen Aufwand erzeugen. |
Weiterentwicklung und Updates | schwer abschätzbar | Die zu leistenden Entwicklungen sind nicht näher spezifiziert und können mit einem Update oder durch manipulierte Messungen umgangen werden. |
Abschlussevaluation | mittel | |
Der Blaue Engel für ressourcen- und energieeffiziente Software gewährleistet gute Standards für eine hohe Nutzungsautonomie, indem er für eine transparente, öffentlich zugängliche Dokumentation, eine Kontinuität des Softwareprodukts über fünf Jahre hinweg und Nutzerfreundlichkeit (einfache, rückstandslose Deinstallation, Offlinefähigkeit, Werbefreiheit) sorgt. Nach Einschätzung der Softwareentwicklungsseite könnte jedoch besonders die Anforderung an Sicherheitsupdates aufgrund des sehr langen Zeitraums von fünf Jahren große Aufwände mit sich bringen.
Die involvierte Softwarefirma weist zudem darauf hin, dass das Zeichen und der Zertifizierungsprozess ein allgemeines Bewusstsein für das Thema Ressourcen- und Energieeffizienz fördern, das bisher bei eher wenigen Softwareanbietern vorhanden ist. Dies liegt an der Vielzahl von Anforderungen an Softwareprodukte, beispielsweise an Sicherheit, und an Randbedingungen, beispielsweise der Einbettung in vorhandene Systeme. Gleichzeitig wird nach Einschätzung der Entwicklungsseite ein hoher Wert auf Optimierung der Software-Performance gelegt, die meist auch der Ressourcen- und Energieeffizienz zugutekommt, so dass Potentiale zur Verbesserung hier möglicherweise gering sind.
Im Zertifizierungsprozess erzielbare Messergebnisse des Nutzungsszenarios sind nach Einschätzung der Projektteilnehmer gut geeignet, um eventuelle Performancemängel oder Programmierfehler aufzudecken, die andernfalls unentdeckt geblieben wären.
Der Anforderungskatalog des Blauen Engel enthält auch den Punkt Modularität von Software. Hier sieht die Softwareentwicklungsseite einen Ansatzpunkt für Effizienzpotentiale, da dem zunehmenden Speicherbedarf von Software so entgegengewirkt werden kann. Auch die Anwendung von Methoden der nachhaltigen Softwareentwicklung wird als vielversprechend angesehen.
Die Firma disy sieht es auch als zielführend an, bereits im Betrieb befindliche Systeme auf ressourcenintensive Softwarekomponenten hin zu untersuchen und zu optimieren. So kann es hilfreich sein, den Nutzenden bei einer Datenabfrage die damit verbundenen Aufwände zu zeigen, um zu Datensparsamkeit anzuregen. Auch eine optimierte Datenhaltung durch Ansätze wie In-Memory Computing oder Caching kann Effizienzpotentiale bieten.
Die Machbarkeitsstudie lieferte erste Erkenntnisse für die Frage, welchen Beitrag Softwareentwicklung zu den Zielen der Landesstrategie Green IT leisten kann. Die Landesverwaltung Baden-Württemberg, aber auch die öffentliche Verwaltung allgemein ist Nutzerin und Auftraggeberin für die Entwicklung verschiedener Softwareprodukte und sollte darauf hinwirken, das Thema Ressourceneffizienz dort als einen Baustein mit aufzunehmen. Eine Verankerung des Themas in ihren entsprechenden IT-Richtlinien ist dafür essentiell. Gleichzeitig benötigt es aber auch eine (Weiter-)Entwicklung von Softwareentwicklungsstandards und -benchmarks.
Die grundsätzliche Praxistauglichkeit des Blauen Engels ist dadurch belegt, dass im Frühjahr 2022 erstmals ein Softwareprodukt mit dem Blauen Engel ausgezeichnet wurde (freier Dokumentenbetrachter). Interessant bleiben laufende Untersuchungen zur Weiterentwicklungen des Geltungsbereichs der Vergabegrundlage des Umweltzeichens. So sollen künftig auch Client-Server-Systeme und Mobile Anwendungen (Apps) zertifizierbar sein.
Quelle: Machbarkeitsanalyse zur Erfüllung der Vergabekriterien des Zertifikats für Ressourcen- und energieeffiziente Softwareprodukte „Blauer Engel"Projektabschlussbericht 2022 (LUBW/Disy Informationssysteme GmbH)