Das Umweltministerium betreibt seit 1985 als atomrechtliche Aufsichtsbehörde ein computergestütztes System zur Kernreaktorfernüberwachung (KFÜ). Mit diesem werden die baden-württembergischen Kernkraftwerke Philippsburg (KKP), Neckarwestheim (GKN) und Obrigheim (KWO) sowie die grenznahen Standorte Leibstadt (KKL) und Beznau (KKB) in der Schweiz und Fessenheim (FSH) in Frankreich rund um die Uhr überwacht.
Die Kernreaktorfernüberwachung ist ein komplexes Mess- und Informationssystem, das tagtäglich mehr als 200.000 Messwerte erfasst und überwacht. Rund um die Uhr werden vollautomatisch und unabhängig von den Betreibern der Kernkraftwerke der aktuelle Betriebszustand der baden-württembergischen Anlagen einschließlich ihrer Abgaben (Emissionen) in Luft und Abwasser sowie der Radioaktivitätseintrag in die Umgebung (Immission) ermittelt. Ergänzend dazu erfasst das Kernreaktorfernüberwachung-System an den Standorten laufend meteorologische Daten und übernimmt auch Messwerte von externen Messnetzen.
Mithilfe der Kernreaktorfernüberwachung überprüft das Ministerium, ob die Betreiber ihre rechtlichen Verpflichtungen einhalten. Außerdem ermöglicht sie, dass im Falle eines Störfalls oder Unfalls Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung ergriffen werden können. Hierzu bietet das Kernreaktorfernüberwachung-System zahlreiche Möglichkeiten, die gemessenen Werte auszuwerten und darzustellen und auf die Einhaltung von Grenzwerten und Schutzzielen hin zu überprüfen.
Im Falle einer radioaktiven Freisetzung können mittels einer Modellrechnung (Ausbreitungsrechnung) potenziell betroffene Gebiete frühzeitig ermittelt und in Zusammenarbeit mit den Behörden, die für den Katastrophenschutz zuständig sind, Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung eingeleitet werden.
Die wichtigsten Betriebsparameter in den baden-württembergischen Kernkraftwerken wie zum Beispiel Druck, Temperatur und Füllstand im Reaktorkühlkreis, der Neutronenfluss, die Dosisleistung in verschiedenen Bereichen oder der radioaktive Gehalt der Abluft und des Abwassers werden online überwacht und unabhängig vom Betreiber gespeichert.
Die wichtigsten dieser Daten kontrolliert das Umweltministerium Baden-Württemberg täglich. Werden Besonderheiten – auch weit unterhalb von Grenz- oder Genehmigungswerten – festgestellt, wird die Ursache ermittelt. Damit relevante Vorfälle nicht unbemerkt bleiben, wird die Aufsichtsbehörde bei der Überschreitung festgelegter Grenzwerte automatisch alarmiert. In der Vergangenheit wurden keine echten Grenzwertüberschreitungen registriert, mit Ausnahme eines Falles während des Tschernobyl-Unfalls.
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Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW): Aktueller Anlagenstatus
Neben den Betriebsparametern erfasst die Kernreaktorfernüberwachung auch die Daten der Strahlenpegelmessstellen. Dazu betreibt die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg ein eigenes kreisförmig (bei den ausländischen Anlagen halbkreisförmig) um die Kraftwerke angeordnetes Messnetz, das die so genannte Gamma-Ortsdosisleistung (ODL) misst. Zusätzlich gibt es an jedem Kernkraftwerksstandort eine Aerosolmessstation mit nuklidspezifischer Analyse.
Um das Messnetz zu verdichten, sind auch Teile des bundeseigenen Gamma-Ortsdosisleistung-Messnetzes und das ebenfalls von der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg betriebene landesweite Strahlenpegelmessnetz in der Kernreaktorfernüberwachung aufgelegt. Die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg überprüft täglich, ob die eingehenden Messwerte auffällig oder erhöht sind. So werden etwaige radiologisch relevante Abgaben aus den Anlagen sicher erkannt. Auch diese Daten unterliegen zusätzlich einer automatischen Kontrolle. Bei Grenzwertüberschreitungen erfolgt eine automatische Alarmierung.
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Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg: Aktuelle Messwerte
Auch wenn das Risiko eines Stör- oder gar Unfalls mit katastrophalen Auswirkungen in einem deutschen Kernkraftwerk verschwindend gering ist, sorgen Behörden und Betreiber für kerntechnische Notfälle vor. Die Kernreaktorfernüberwachung verfügt zu diesem Zweck über zahlreiche Hilfsmittel, um die Folgen eines solchen Ereignisses abschätzen zu können und durch Einleitung geeigneter Maßnahmen, wie zum Beispiel Einnahme von Iodtabletten, Verbleiben im Hause oder Evakuierung, zu mildern.
Neben dem Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft, der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg und den Betreibern sind daher auch die für den Katastrophenschutz zuständigen Regierungspräsidien an die Kernreaktorfernüberwachung angeschlossen.
Ein wichtiges Instrument des vorbeugenden Bevölkerungsschutzes ist die Bestimmung der potenziell betroffenen Gebiete und die dort durch die Freisetzung von radioaktiven Stoffen zu erwartende radiologische Belastung mittels einer Ausbreitungsrechnung (ABR). Die dazu notwendigen meteorologischen Daten werden von Messstationen des Betreibers, der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg und des Deutschen Wetterdienstes (DWD) abgerufen und durch Prognose- und Radardaten des Deutschen Wetterdienstes ergänzt.
In der Umgebung der Kernkraftwerke würden die zahlreichen Immissionsmessstellen den tatsächlichen Verlauf einer möglichen Freisetzung registrieren und eine sofortige Anpassung etwaiger Maßnahmen erlauben. Im Nachgang zu einer Freisetzung kämen dann zahlreiche mobile Messtrupps von Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg, Betreiber, dem Bundesamt für Strahlenschutz und Feuerwehr zum Einsatz, um das betroffene Gebiet genauer einzugrenzen und die notwendige Datengrundlage für sachgerechte Entscheidungen zum Schutz der Bevölkerung zu schaffen. Auch diese Daten können in der Kernreaktorfernüberwachung verarbeitet und gemeinsam mit den stationären Online-Messungen ausgewertet werden, um rasch einen vollständigen Überblick über die radiologische Situation zu bekommen.