Die Qualität der Stromversorgung ist in Deutschland sehr hoch. Experten sehen keine Anzeichen für einen Blackout. Kann Strom im Winter trotzdem knapp werden? Welche Maßnahmen greifen dann? Wir haben Antworten auf häufige Fragen für Sie zusammengestellt.
Zunächst einmal: Wir haben in Deutschland insgesamt eine sehr hohe Versorgungssicherheit im Stromsystem. Die Landesregierung und die Strommarktexperten sehen keine Anzeichen für einen unkontrollierten flächendeckenden Absturz des gesamten Stromnetzes (Blackout).
Nach dem Energiewirtschaftsgesetz sind die Netzbetreiber für die Sicherheit und die Zuverlässigkeit der Stromversorgungsnetze zuständig, allen voran die vier Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz, Amprion, TenneT und TransnetBW. Diese treffen die nötigen Vorkehrungen, um lokale Stromausfälle und großflächige Blackouts zu vermeiden.
Vor dem Hintergrund der drohenden Energiekrise spielten die Netzbetreiber in einem „Stresstest“ drei Szenarien mit unterschiedlich schwierigen Bedingungen durch: etwa niedrige Pegelstände in den Flüssen, die Probleme beim Schiffstransport von Kohle bereiten; eine mangelnde Verfügbarkeit der französischen Atomkraftwerke, von denen zurzeit eine große Anzahl wegen Wartungs- und Reparaturarbeiten nicht am Netz sind; der möglicherweise vermehrte Einsatz von elektrischen Heizlüftern oder Probleme mit der Gasverfügbarkeit für Kraftwerke. Die Frage war: Steht auch unter schwierigen Bedingungen genügend Strom zur Verfügung? Und bleibt das Stromnetz unter diesen Bedingungen stabil?
Das Ergebnis: Die Experten rechnen nicht mit einem unkontrollierten, flächendeckenden Zusammenbruch der Elektrizitätsversorgung (Blackout).
In den beiden kritischeren, von den Netzbetreibern durchgespielten, „Stresstest“-Szenarien zu Netzengpässen, könnten im kommenden Winterhalbjahr trotz sehr hoher Versorgungssicherheit im Stromsystem dennoch mehrstündige sogenannte „Lastunterdeckungen” auftreten. Die Stromnachfrage wäre dann regional höher als das Angebot und ein Ausgleich wäre nicht möglich. Im schwierigsten Szenario könnte das in Deutschland der Untersuchung zufolge im gesamten Winter für drei bis zwölf Stunden eine Unterdeckung bedeuten.
Das heißt aber nicht, dass alle Kunden im Winter für drei bis zwölf Stunden ohne Strom auskommen müssten. Vielmehr würden die Netzbetreiber mit Teilabschaltungen voraussichtlich bei wenigen Großverbrauchern reagieren und nur deren Belieferung kurzzeitig unterbrechen.
Im Stromnetz besteht außerdem die Möglichkeit, durch Schaltprozesse in einem rollierenden Verfahren die Lastenunterdeckung stundenweise auf mehrere Schultern zu verteilen. Das bedeutet, dass mit einem zeitlichen Vorlauf und regional sowie zeitlich auf einige Stunden begrenzt für einen Teil der Stromverbraucher der Strom abgeschaltet wird. Solange der Mangel besteht, erfolgt diese Stromabschaltung in einer gewissen Reihenfolge (Brownout).
Laut Bundesnetzagentur würde sich so ein Brownout für Privatpersonen nicht anders darstellen als ein auch sonst gelegentlich auftretender Stromausfall, der etwa durch einen Kurzschluss im örtlichen Straßennetz ausgelöst wird. Mit dem Unterschied, dass die Dauer vorhersehbar ist. Licht und technische Geräte fallen für ca. 90 Minuten aus und gehen dann wieder an. Gefriertruhen und Kühlschränke (insbesondere neuere Geräte) können mit so einer Unterbrechung übrigens gut umgehen.
Für Industrieunternehmen und Einrichtungen mit sensibler Stromversorgung wie Rathäuser oder Tankstellen empfiehlt die Bundesnetzagentur eine Notstrom-Vorbereitung für eine zeitweise Nicht-Versorgung. Krankenhäuser verfügen aufgrund einer gesetzlichen Regelung über Notstromaggregate, die im Notfall für bis zu 72 Stunden zum Einsatz kommen können.
Neben der Frage der Lastunterdeckung, also dem Ausgleich von Stromangebot und -nachfrage, wurde in den Stresstests auch die Stromverteilung, die sogenannte Netzsicherheit, untersucht. Im Stromnetz treten, wie auch heute schon, Netzengpässe auf. Diese müssen durch Anfahren und Abschalten von Kraftwerken vor- beziehungsweise hinter dem Engpass aufgehoben werden. Dieses Verfahren wird Redispatch genannt. In den Szenarien kommt es zu einer gesteigerten Nachfrage nach Redispatchmaßnahmen. Hierfür müssen auch Kraftwerke im angrenzenden Ausland vorgesehen werden. Auch dies ist nicht ungewöhnlich, nur zeigen die Berechnungen für diesen Winter einen steigenden Bedarf. Diesen gilt es zu decken, einerseits durch das Vorhalten und Einsetzen zusätzlicher Kraftwerke und auch durch eine kurzfristige Erhöhung der Übertragungskapazität.
Die Netzbetreiber empfehlen deshalb dringend die „Nutzung aller Möglichkeiten zur Erhöhung der Strom-Erzeugungs- und Transportkapazitäten“: Sie sprechen sich zum Beispiel dafür aus, die Nutzung weiterer Kraftwerkskapazitäten abzusichern – etwa durch eine Marktrückkehr von Kohlekraftwerken aus der Reserve oder durch das Sichern der Gasversorgung von Gaskraftwerken. Die Bundesregierung steuert entsprechend nach. Auf Basis seiner Richtlinienkompetenz ordnete Bundeskanzler Olaf Scholz darüber hinaus an, die gesetzliche Grundlage zu schaffen, um die drei noch am Netz befindlichen Kernkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 sowie Emsland über den 31. Dezember 2022 hinaus bis zum 15. April kommenden Jahres weiter betreiben zu können. Der Bundestag hat den notwendigen Änderungen des Atomgesetz Mitte November zugestimmt. Auch der Bundesrat hat die Änderungen Ende November gebilligt. Damit kann es in Kraft treten.
Hinweis: Aufschluss über die Netzqualität gibt der „System Average Interruption Duration Index“ (SAIDI), der die durchschnittliche Unterbrechungsdauer der Stromversorgung pro Endkunde wiedergibt. Die Werte für Baden-Württemberg lagen in 2021 mit 12,68 Minuten und für Deutschland mit 12,7 Minuten erneut auf einem sehr niedrigen Stand seit Beginn der Veröffentlichung im Jahr 2006. Auch im europäischen Vergleich hatten Baden-Württemberg und Deutschland in der Vergangenheit einen der niedrigsten SAIDI-Werte.
Die Laufzeiten der letzten Kernkraftwerke in Deutschland sind gesetzlich begrenzt. Das bedeutet in der Konsequenz, dass ein Weiterbetrieb über die im Atomgesetz genannte Frist hinaus verboten ist.
Am 11. November 2022 hat der Deutsche Bundestag einem Gesetzentwurf der Bundesregierung zugestimmt, wonach die Laufzeit der drei noch betriebenen Kernkraftwerke um dreieinhalb Monate verlängert wird. Der Zeitpunkt, zu dem die drei Kernkraftwerke spätestens abgeschaltet werden müssen, wurde vom 31. Dezember 2022 auf 15. April 2023 geändert. Die Kernkraftwerke müssen mit dem schon vorhandenen Brennstoff betrieben werden, was eine reduzierte Leistung zur Folge hat. Die Beschaffung und der Einsatz neuer Brennelemente ist nicht erlaubt, so dass mit dieser begrenzten Laufzeitverlängerung kein zusätzlicher hochradioaktiver Abfall entsteht.
Die für den befristeten Weiterbetrieb geplanten Fahrweisen sind nicht für alle drei Anlagen gleich.
Im Kernkraftwerk Emsland wird voraussichtlich im Januar 2023 ein Kurzstillstand erfolgen, bei dem Brennelemente aus dem Reaktor entladen und durch reaktivere aus dem Lagerbecken ersetzt werden. Mit einer solchen Neubeladung des Reaktors mit schon früher genutzten Brennelementen kann trotz des Stillstands mehr Energie erzeugt werden als durch einen Weiterbetrieb mit dem aktuellen Reaktorkern.
Das Kernkraftwerk Isar 2 wird vermutlich ohne Stillstand weiter betrieben. So kann es der Begründung der Atomgesetzänderung zufolge mit dem aktuellen Reaktorkern bis Anfang März Strom erzeugen.
Beim Kernkraftwerk Neckarwestheim 2 sind beide Varianten möglich: ein Kurzstillstand zur Kernrekonfiguration Anfang Januar mit anschließendem Betrieb bis Mitte April oder ein unterbrechungsloser Weiterbetrieb bis Anfang Februar. Der Betreiber von Neckarwestheim 2 bereitet sich im Moment auf beide Möglichkeiten vor, bis vermutlich Anfang Dezember eine Entscheidung getroffen wird. In allen Fällen werden die Kernkraftwerke nicht mehr die volle Leistung erzeugen können.
Die Betreiberunternehmen hatten sich in ihren Planungen auf den Abschaltzeitpunkt 31. Dezember 2022 eingestellt. Zum Beispiel haben sie mit Beschäftigten Vorruhestandsverträge abgeschlossen. Verträge mit Auftragnehmern, die für den Betrieb oder für Versorgung mit Ersatzteile erforderlich sind, haben die Betreiber gekündigt. Für Arbeiten, die nach der Abschaltung vorgesehen sind, haben sie teilweise schon Aufträge vergeben.
Insofern sind mit der Laufzeitverlängerung verschiedene Umplanungen erforderlich. Für die neue Zusammenstellung der Brennelemente im Reaktorkern und die folgende Betriebszeit sind Berechnungen, Nachweise und Sicherheitsbewertungen erforderlich. Während des Stillstands- und beim Wiederanfahren sind Prüfungen an Systemen und Komponenten erforderlich.
Das Umweltministerium als atomrechtliche Aufsichtsbehörde für Neckarwestheim 2 wird die Unterlagen des Betreibers und die Tätigkeiten in der Anlage wie bei früheren Abschaltungen und Kernbeladungen überprüfen und beaufsichtigen. Bei den Bewertungen und Entscheidungen des Umweltministeriums steht die Sicherheit an erster Stelle.
Da auch nach der endgültigen Abschaltung arbeitsintensive sicherheitstechnisch wichtige Arbeiten anstehen und eingeplant waren, ist für den begrenzten Weiterbetrieb bis Mitte April 2023 in Neckarwestheim 2 genügend Fachpersonal vorhanden. Ein längerer Betrieb, wie er oftmals in die Diskussion gebracht wurde und wird, würde jedoch neben anderen Schwierigkeiten auch in Bezug auf spezialisierte Fachkräfte größeren Problemen begegnen.