Im Frühsommer herrschte Hochwasser-Alarm in Oberschwaben, am Bodensee und in anderen Teilen Süddeutschlands. Straßen wurden unterspült, Keller geflutet. Die Versicherungsbranche geht von einem Milliarden-Schaden aus. Baden-Württembergs Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) stockt nun die Förderung sogenannter Schwammstadt-Konzepte auf. Im Interview kündigt sie auch eine Anlaufstelle für Kommunen an, die mehr für den Hochwasserschutz tun wollen.
Mit etwas Abstand betrachtet: War das Extremwetter von Ende Mai und Anfang Juni ein Jahrhundert-Hochwasser?
Der Begriff ist durchaus gerechtfertigt. Aber die Extremwetterereignisse ändern sich, und darum müssen sich auch die Begriffe ändern. Wir erleben gerade, dass alte Kategorien so nicht mehr gelten. Wir müssen lernen, uns auf heftigere Extremwetter in kürzerer Abfolge einzustellen.
Wird das, was eben noch ein extremes Wetterereignis schien, zum Normalfall?
Die Häufigkeit wird steigen. Da sind sich alle Experten einig. Das ist einfach Physik: Ein Grad mehr Lufttemperatur bedeutet sieben Prozent mehr Feuchtigkeit in der Luft. Und wenn es dann zu Starkregen kommt, dann kommt einfach mehr Wasser herunter. Das Außergewöhnliche an der Situation im Frühsommer war, dass wir Hochwasser plus Starkregen hatten. Das hat die Situation so gefährlich gemacht.
Wie kann man sich schützen?
In Baden-Württemberg haben wir in den vergangenen Jahren schon viel investiert. Deswegen sind wir vergleichsweise glimpflich davongekommen. Für Hochwasserschutz und Flussrenaturierungen haben wir im vergangenen Jahr 130 Millionen Euro investiert und wollen das auch in den nächsten Jahren tun. Wir haben 800 Hochwasserrückhaltebecken. Wir haben 1000 Kilometer landeseigene Hochwasserschutzdämme. Die müssen wir instand halten.
Trotz allem kommt der technische Hochwasserschutz irgendwann an seine Grenzen …
Deswegen müssen wir begreifen: Mehr Naturschutz ist auch mehr Hochwasserschutz. Die ganz große Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass der Boden wieder besser Wasser aufnehmen und speichern kann. Diese eigentlich natürliche Fähigkeit, die müssen wir an manchen Orten wiederherstellen.
Wie kann man das denn erreichen?
Flüsse wurden begradigt, Flussauen verbaut oder reduziert. Das müssen wir an manchen Stellen renaturieren. Dann hat der Fluss mehr Platz, an manchen Stellen über die Ufer zu treten, ohne dass es Probleme macht. Auch in Städten kann man dafür sorgen, dass der Boden Wasser aufnehmen kann. Zum Beispiel über Schwammstadt-Konzepte. Indem man entsiegelt, Böden wieder frei macht, also Flächen schafft, wo auch Wasser mal sein darf, bis hin zu wasserdurchlässigen Straßenbelägen. Solche Konzepte fördert das Land jetzt mit 50 Prozent der Kosten. Wenn eine Stadt zum Beispiel ohnehin eine Straße aufreißen muss, weil sie saniert oder neue Leitungen verlegt, dann kann sie die Gelegenheit gleich nutzen, etwas für die Klimaanpassung zu tun.
Können Sie Beispiele nennen für gelungenen Hochwasserschutz?
Zwischen Isny und Leutkirch gibt es eine sehr gute Kombination aus technischem Hochwasserschutz, nämlich dem Rückhaltebecken in Urlau, und einem Hochmoor, nämlich dem Fetzachmoos. Es war heikel, als das Hochwasser kam, aber am Ende wurde Leutkirch geschützt. Ohne das Moor hätte das nicht geklappt. Städtebaulich ist Winnenden bei Stuttgart ein gutes Beispiel. Dort wurden parkartige Flächen geschaffen, auf denen sich auch zusätzliches Regenwasser sammeln kann. Dann entsteht dort zeitweise ein See, mitten im Wohngebiet. Das ist richtig schön geworden, die Anwohner nennen es Klein-Venedig.
Solche Konzepte zu erarbeiten, ist aber aufwändig.
Wir sind gerade dabei, eine Strategie für urbanes Wasserressourcenmanagement fertig zu stellen. Die Kommunen sollen sich diese Informationen einfach an einer zentralen Stelle im Land besorgen können. Unser Ziel ist es, Infos, Blaupausen, Konzepte und Angebote bereitzustellen, damit auch kleine Kommunen, die vielleicht keine große Fachabteilung dafür haben, so etwas umsetzen können - auf ihre spezifischen Bedürfnisse angepasst. Dazu gibt es von uns dann auch die entsprechende Förderung.
Nach einem Hochwasser ist die Aufmerksamkeit für so ein Thema sehr hoch. Bei den Haushaltsverhandlungen auch noch?
Dafür werbe ich natürlich. Und eigentlich wissen das alle auch. Alle Berechnungen von Finanz- und Wirtschaftsexperten sind da ganz eindeutig. Jeder Cent, jeder Euro, den Sie jetzt in die Hand nehmen, der zahlt sich später aus. Niedernhall in Nordwürttemberg zum Beispiel hatte vor einigen Jahren sehr große Schäden bei einem Hochwasser, und danach haben sie wirklich stark investiert, auch mit Förderung vom Land. Die hatten dieses Mal – bei größeren Wassermassen - keine Probleme.
Geld für Anpassungsmaßnahmen ist vermutlich noch relativ unstrittig. Geld für aktiven Klimaschutz auszugeben, in Zeiten knapper Kassen womöglich nicht ganz so sehr. Spüren Sie einen gesellschaftlichen Klimawandel?
Ich bin erstaunt über die Schärfe mancher bundespolitischen Debatten. In den Kommunen sind viele voll in der Umsetzung – die führen keine Debatten mehr, ob Klimaschutz notwendig ist. Da gibt es eine positive Aufgeschlossenheit für Klimaschutz. Man rechnet, man überlegt, man guckt, was kostet was, wie kann man davon profitieren, wenn man zum Beispiel erneuerbare Energien ausbaut. Ich erlebe Hausbesitzer oder auch Unternehmer, die mir stolz vorrechnen, wie viel Solarenergie sie jetzt wieder nutzen konnten – und wie kostengünstig das war. Auch für die Wirtschaft ist Klimaschutz extrem wichtig. Der Chefvolkswirt der LBBW hat ausgerechnet, wenn der Klimawandel sich ungebremst weiterentwickelt, haben wir ein Minus von drei Prozent beim Wirtschaftswachstum. Und am härtesten würde es die Landwirtschaft treffen. Gerne kann man über den besten Weg im Klimaschutz streiten. Aber man sollte ihn nicht mehr infrage stellen.
Müssen Sie vorsichtig sein, sich nach einem Extremwetter nicht dem Vorwurf auszusetzen, Sie nutzten eine Katastrophe aus, um grüne Politik auf dem Rücken der Flutopfer voranzutreiben?
Ich glaube, eine große Mehrheit hält Klimaschutz für vollkommen richtig und vernünftig. Wenn man zum Beispiel von einem Extremwetter betroffen ist, dann ist man froh, wenn die Kommune ihre Hausaufgaben schon vorher gemacht hat und sie vor größeren Schäden bewahrt hat.
Quelle: Schwäbische.de, Interview von Simon Müller und Ulrich Mendelin (veröffentlicht: 11. September 2024)