Radioaktive Stoffe und ionisierende Strahlung finden in der Medizin breite Anwendung. Über ihren Einsatz entscheidet eine Ärztin oder ein Arzt mit der erforderlichen Fachkunde im Strahlenschutz.
Die Medizin verwendet radioaktive Stoffe und ionisierende Strahlung zur Identifikation (Diagnose) und Behandlung (Therapie) von Krankheiten. Ein bekanntes Beispiel für die Anwendung in der Diagnose ist das Röntgen (Röntgenaufnahme, Computertomografie). Röntgenstrahlen durchleuchten den menschlichen Körper (Röntgenaufnahme, Computertomografie), um Knochenbrüche oder Veränderungen im Gewebe sichtbar zu machen.
In der Nuklearmedizin überprüfen Ärztinnen und Ärzte die Funktion von Organen und lokalisieren Krankheitsherde mit radioaktiven Substanzen, sogenannten Radio- und Nuklearpharmaka. Dazu müssen die Patientinnen und Patienten radioaktive Substanzen entweder einnehmen oder sie werden ihnen gespritzt.
Radioaktive Substanzen werden aber auch in der Strahlentherapie eingesetzt. Sie nutzt die unterschiedliche Empfindlichkeit von Zellen gegenüber ionisierender Strahlung. Zellen mit hoher Teilungsrate und großer Stoffwechselleistung (zum Beispiel bösartige Tumore) sind strahlenempfindlicher als Zellen, die sich nur langsam teilen.
Die Anwendung radioaktiver Stoffe zur Diagnose wird in der mittleren Strahlenexposition der Bevölkerung in Deutschland berücksichtigt. Die Behandlung einer Krankheit mit radioaktiven Stoffen führt lokal zu einer sehr hohen Dosis und ist daher sehr individuell. Sie geht deshalb nicht in die mittlere Strahlenexposition ein.
Wenn ionisierende Strahlung auf Zellen und Gewebe einwirkt, können Krankheitsherde behandelt und im günstigsten Fall beseitigt werden. Idealerweise beschränkt sich die Strahlenwirkung auf die betroffene Region und das umliegende gesunde Gewebe wird nur gering beeinträchtigt. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen Ärztinnen und Ärzte die Behandlung individuell auf den Patienten abstimmen und planen. Dafür nutzen sie Bildinformationen aus der Radiologie (Röntgendiagnostik) und der Nuklearmedizin (Szintigrafie).
Röntgentechnologische Verfahren und Radionuklidszintigrafien ergänzen sich in ihren bildlichen Darstellungen von Körperteilen und Organen. Während Röntgenaufnahmen und Computertomografien infolge der unterschiedlichen Absorption von Röntgenstrahlen Unterschiede in der Gewebedichte sichtbar machen, bilden Szintigrafien Gewebefunktionen ab. Unterschiedliche Gewebefunktionen sind durch eine unterschiedliche Aufnahme- und Speicherfähigkeit bestimmter Substanzen zu erkennen.
Bei der Radionuklidszintigrafie werden dem Patienten radioaktive Substanzen verabreicht, die im Körper denselben Stoffwechsel-, Transport- und Ausscheidungsvorgängen unterliegen wie ihre inaktiven Analoga (= chemisch identische Stoffe, die keine radioaktiven Isotope enthalten). Die Strahlung, die von den radioaktiven Substanzen im Körper ausgeht, wird außerhalb des Körpers mit Detektoren erfasst. So entsteht ein Abbild der Radionuklidverteilung, das sogenannte Szintigramm. Szintigramme können von den meisten Organen und Organsystemen aufgenommen werden. Am häufigsten sind Aufnahmen der Schilddrüse und der Knochen. Als Radionuklid wird vorwiegend Technetium-99m mit Aktivitäten von bis zu einigen hundert Mega-Becquerel eingesetzt.
Die Positronen-Emissions-Tomografie (PET) nutzt den Effekt, dass Positronen und Elektronen beim Aufeinandertreffen zwei entgegengesetzte Gammaquanten aussenden, die sogenannten Paarvernichtungsquanten. Sie sind leicht nachzuweisen, so dass in der nuklearmedizinischen Diagnostik auch Positronen-Strahler wie Kohlenstoff-11, Stickstoff-13, Sauerstoff-15 und Fluor-18 angewendet werden.
Mit den genannten Radionukliden lassen sich einfache organische Verbindungen (Glucose, Aminosäuren, Fettsäuren et cetera) radioaktiv markieren und als Radiopharmaka einsetzen. Typische Anwendungsbeispiele sind Untersuchungen des Glucosestoffwechsels im Gehirn oder im Herzmuskel, die Erfassung von Durchblutungsstörungen sowie Studien zum Tumorstoffwechsel (Therapieverlaufskontrolle). Aufgrund der kurzen Halbwertszeit der Positronen-Strahler von unter zwei Stunden kann ein Positronen-Emissions-Tomografie-System nur in unmittelbarer Nähe eines Zyklotrons betrieben werden, mit dem diese Radionuklide erzeugt werden. Bei der Positronen-Emissions-Tomografie werden Aktivitäten von 300 bis 400 Mega-Becquerel je Patient und Aufnahme eingesetzt.
Krankheiten werden auch mit offenen radioaktiven Stoffen – so genannten Radiopharmaka – behandelt. Typisches Beispiel ist die Radiojodtherapie mit Jod-131 bei Schilddrüsenerkrankungen. Aufgrund der beim Beta-Zerfall des Jod-131 auftretenden Gammastrahlung, die den Körper nach außen durchdringt, kommt dem Strahlenschutz große Bedeutung zu. Außerdem scheiden die Patienten das radioaktive Jod zum Teil wieder aus. Deshalb muss das medizinische Personal, das mit dem Patienten Kontakt hat, vor den Risiken besonders geschützt werden. Unter anderem wird das Abwasser in separaten Tanks gelagert, bis die Aktivität des Jods abgeklungen ist. Folglich darf die Therapie in Deutschland nur unter besonderen stationären Bedingungen erfolgen.
Der Patient darf das Krankenhaus verlassen, wenn ein Teil der Radioaktivität abgeklungen ist. Dennoch enthält der Körper weiterhin bis zu 250 Mega-Becquerel radioaktives Jod. In den ersten Tagen kann dieses bei einem Abstand von 2 Metern zum Patienten noch eine Dosis von maximal 3,5 Mikro-Sievert pro Stunde verursachen. Das Jod wird teilweise mit dem Urin aus dem Körper ausgeschieden und gelangt so ins Abwasser. Radioaktives Jod wird daher gelegentlich in Kläranlagen nachgewiesen.
Mit der sogenannten Radiosynoviorthese (RSO, Synovia = Gelenkschleimhaut, Orthese = Wiederherstellung) werden entzündliche Gelenke behandelt. Im Gegensatz zur Radiojodtherapie, bei der das Radiopharmakon oral oder intravenös verabreicht wird, injiziert die Ärztin oder der Arzt den radioaktiven Stoff (Yttrium-90, Erbium-169 oder Rhenium-186) direkt in das Gelenk beziehungsweise in eine Gelenkhöhle. Bei der Radiojodtherapie und der Radiosynoviorthese werden je nach Erfordernis und Anwendung Aktivitäten im zweistelligen Mega-Becquerel-Bereich bis hin zu einigen Giga-Becquerel („hochdosierte Jodtherapie“) verabreicht.
Die Radioonkologie (Onkologie = Behandlung von Tumorerkrankungen) verwendet Strahlenquellen (Röntgengeräte, Teilchenbeschleuniger, umschlossene radioaktive Stoffe), um Tumore zu zerstören oder deren Größe zu vermindern. Dabei wird der Tumor zielgerichtet mit hohen Energiedosen („Herddosis“) bestrahlt.
Je nach Tumor erhält das betroffene Organ eine Dosis von 20 Gray (bei Gammastrahlung entspricht dies einer Energie von 20 Sievert) und mehr. Bei der Therapie soll das gesunde Gewebe weitgehend geschont werden, das den Tumor umschließt. Daher wird die Dosis, die den Tumor zerstören soll, meist in mehrere, zeitlich voneinander getrennte „Einzelenergiedosen“ aufgeteilt („fraktionierte Bestrahlung“).
Als Strahlungsarten werden angewendet:
- Röntgenstrahlung
- Gammastrahlung
- Betastrahlung (Radionuklide)
- Elektronenstrahlung (Teilchenbeschleuniger)
- ultraharte Bremsstrahlung
- Neutronenstrahlung
- Protonen- und Schwerionenstrahlung
Die Bestrahlung kann von außen über die Haut (perkutan), von Körperhöhlen aus (intrakavitär), in der offenen Operationswunde (intraoperativ) oder direkt im Gewebe (interstitiell, Interstitium = Gewebe zwischen den Organen) erfolgen.
Liegt der Tumor tief im Körperinneren, wird mit durchdringender Strahlung von außen (zum Beispiel durch Röntgenstrahlung, hochenergetische Teilchenstrahlung) bestrahlt. Da sich die Strahlenquelle in einem gewissen Abstand zum Patienten befindet, nennt man diese Behandlungsart auch Fern- oder Teletherapie.
Oberflächlich gelegene Tumore können mit Strahlung behandelt werden, die nur gering in den Körper eindringt wie der Betastrahlung (Kurzdistanz- oder Brachytherapie). Tieferliegendes gesundes Gewebe wird dabei weitestgehend geschont. Die so genannte Oberflächen-Kontaktbestrahlung verwendet Beta-Strahler wie Phosphor-32, Schwefel-35, Strontium-90/Yttrium-90 oder Ruthenium-106 in Form umschlossener Strahlenquellen. Die Strahler werden für Minuten bis Stunden auf das Tumorgewebe gehalten, bis die gewünschte Dosis verabreicht ist.
Umschlossene radioaktive Stoffe können auch im Körperinneren in Kontakt/Reichweite mit einer Geschwulst gebracht werden. Heute eher von historischer Bedeutung ist die Verwendung von Radium-226, das bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Strahlenquelle für gynäkologische Anwendungen eingesetzt wurde. Aus Gründen des Strahlenschutzes wurde die Radium-Therapie durch das sogenannte Afterloadingverfahren (Nachladeverfahren) ersetzt.
Bei dieser Methode führt der Arzt ein Hohlrohr („Applikator“) mit einem verschlossenen Ende in den Patienten ein und transportiert die Strahlenquelle per Fernsteuerung an den Bestrahlungsort. Während der Anwendung verlässt das medizinische Personal den Bestrahlungsraum. Beim Afterloadingverfahren werden üblicherweise Strahlenquellen aus Iridium-192 verwendet. Die eingesetzten Aktivitäten reichen bis zu einigen hundert Tera-Becquerel.
Bei einem anderen Verfahren, der interstitiellen Therapie, verbleibt der Strahler, der in Form von radioaktiven Seeds, Nadeln oder Drähten in den Körper eingebracht wird, im Tumorgewebe („Spickung“) und zerfällt dort entsprechend seiner physikalischen Halbwertszeit. Eingesetzt werden Radionuklide wie Palladium-103 oder Jod-125 mit Halbwertszeiten von Tagen bis wenigen Monaten.