Artenschutz geht uns alle an
Die Ursachen des Artensterbens sind vielfältig. Unter anderem sind der Verlust von Lebensraum und Strukturen in der Landschaft, der Klimawandel, Stoffeinträge aus der Industrie, eine intensivere Landnutzung und der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln dafür verantwortlich. Wenn wir das Artensterben aufhalten wollen, müssen wir in allen Bereichen handeln.
Der größte Teil unserer Arten lebt und wächst in unserer über die Jahrhunderte geschaffenen und bewirtschafteten Kulturlandschaft. Wenn die Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft stimmen, ist auch künftig eine Landbewirtschaftung sowohl zum Wohle der Arten als auch zum Wohle der Menschen möglich.
Artenschutz ist aber nicht nur Aufgabe der Landwirtschaft. Alle Bürgerinnen und Bürger und alle Teile der Gesellschaft tragen Verantwortung für den Erhalt der Artenvielfalt. Wirtschaftende Akteure wie der Handel und die Verbraucherinnen und Verbraucher ebenso wie politische Entscheidungsträger auf lokaler, regionaler und übergeordneter Ebene oder Grundstücks- und Gartenbesitzer. Der öffentlichen Hand kommt eine besondere Vorbildfunktion zu.
Gesetzesnovelle und Eckpunktepapier
Mit der Änderung des Naturschutzgesetzes und des Landwirtschafts- und Landeskulturgesetzes hat das Land den Weg für einen ausgewogenen Artenschutz in Baden-Württemberg geebnet. Der Landtag hat die Gesetzesnovelle am 22. Juli 2020 mit großer Mehrheit verabschiedet. Das Gesetz hat die Stärkung der Biodiversität zum Ziel – sowohl die biologische Vielfalt als auch die zu ihrem Erhalt unverzichtbare bäuerliche Landwirtschaft im Land.
Der Gesetzesentwurf geht auf die Eckpunkte zur Weiterentwicklung des Volksbegehrens „Rettet die Bienen“ zurück. Die Landesregierung hat die Forderungen der Initiative in weiten Teilen übernommen und zusätzliche Maßnahmen für verschiedene Bereichen des gesellschaftlichen Lebens eingefügt.
Wesentliche Inhalte
Es soll ein landesweit öffentlich zugängliches und zentrales Kataster für sämtliche Ausgleichsmaßnahmen geschaffen werden. Dies schafft Transparenz und Klarheit über die künftigen Ausgleichsmaßnahmen mit Flächenbezug.
Die Kommunen werden beim Ausbau des Biotopverbundes künftig in die Pflicht genommen. Der Aufbau und die Planung (soweit erforderlich) werden gefördert. So wird landesweit ein Netz von Lebensräumen, die miteinander verbunden sind, entstehen, das den Austausch untereinander ermöglicht. Hierdurch haben die unterschiedlichen Populationen die Chance sich wieder auszubreiten.
Ausgleichsmaßnahmen der Kommunen aber auch freiwillige Maßnahmen der Landnutzer gegen Ausgleich über das Förderprogramm für Agrarumwelt, Klima und Tierschutz (FAKT) oder die Landschaftspflegerichtlinie (LPR) und weitere biodiversitätsfördernde Maßnahmen können so optimal aufeinander abgestimmt werden. Es können gezielt Aufwertungen dort stattfinden, wo sie die größte Wirkung entfalten. Die freiwillige Umsetzung durch die Landwirtschaft kann auf die Refugialflächen angerechnet werden.
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Für Streuobstbestände ab einer Größe von 1500 m² gilt ein Erhaltungsgebot. Einzelbäume können wie bisher bewirtschaftet, gefällt und oder nachgepflanzt werden, ohne dass es einer Genehmigung bedarf. Eine Umwandlung eines Streuobstbestandes ist künftig nur dann möglich, wenn die Gründe für die Umwandlung so gewichtig sind, dass der Erhalt dahinter zurückstehen muss.
In diesen Fällen erfolgt aber ein Ausgleich vorrangig durch die Anlage eines neuen Streuobstbestandes. So wird sichergestellt, dass die flächenhafte Inanspruchnahme reduziert wird und die für Baden-Württemberg so prägende Nutzungsform auch künftig erhalten bleibt.
Pflanzen und Tiere haben in Naturschutzgebieten künftig Vorrang. Es gilt ein Verbot für alle Pestizide ab dem 1. Januar 2022. Für Härtefälle (insbesondere Existenzgefährdung), bei Kalamitäten (zum Beispiel massiver überregionaler Schädlingsbefall), zum Schutz der Gesundheit (zum Beispiel zur Bekämpfung von Stechmücken und Eichenprozessionsspinner) und zur Erhaltung der Schutzgebiete (zur Bekämpfung invasiver Arten oder bei prägenden Nutzungsarten, insbesondere zum Schutz der auf die besondere Nutzung angewiesenen spezifischen Tier- und Pflanzengesellschaften) werden Ausnahmen aufgenommen.
In den übrigen Schutzgebieten sollen, anstelle eines vollständigen Verbots der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (PSM), neben den allgemeinen Grundsätzen des Integrierten Pflanzenschutzes zusätzliche landesspezifische Vorgaben verbindlich vorgeschrieben, dokumentiert und auch kontrolliert werden. Die verbindliche Einhaltung dieser zusätzlichen Vorgaben soll zu einem vorbildlichen Integrierten Pflanzenschutz in den Schutzgebieten (außer Naturschutzgebieten) führen, der die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln auf das absolut notwendige Maß minimiert.
Auch die Kommunen und Privatpersonen werden in die Pflicht genommen. Es wird im Gesetzentwurf klargestellt, dass Schottergärten grundsätzlich keine zulässige Gartennutzung darstellen. Die Lichtverschmutzung durch Beleuchtung im Außenbereich, aber auch im Innenbereich, wird, insbesondere durch Vorgaben zur insektenfreundlichen Straßenbeleuchtung und bei der Beleuchtung von öffentlichen Gebäuden, minimiert, ohne damit den gesetzlich vorgesehenen Auftrag der Denkmalpflege zu beeinträchtigen.
Die öffentliche Verwaltung soll ihre Garten- und Parkflächen künftig insektenfreundlich pflegen. Darüber hinaus soll die Nutzung von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln in Privatgärten über den bisherigen Umfang hinaus auch in weiteren Schutzgebieten nach Naturschutzrecht, insbesondere auch Landschaftsschutzgebieten und Naturparken, untersagt werden.
Das Land verpflichtet sich, die Voraussetzungen zu schaffen, den Anteil des ökologischen Landbaus bis 2030 auf 30 bis 40 Prozent zu erhöhen. Das Land muss daher die Rahmenbedingungen so gestalten und Anreize bieten, damit genügend Betriebe bis 2030 freiwillig umstellen. Kein Betrieb wird damit zur Umstellung gezwungen. In den Jahren 2023 und 2027 erfolgt jeweils eine Evaluierung, sodass gegebenenfalls nachgesteuert werden kann. Das Land bietet eine Vielzahl von Beratungsmodulen und Förderangeboten an, um landwirtschaftliche Unternehmen bei der Umstellung zu begleiten und zu unterstützen.
Soweit das Land das Ziel nicht erreichen sollte, müssen diese Rahmenbedingungen verbessert werden. Maßgeblich für den Erfolg wird zudem der massive Ausbau der Vermarktung und der Verbraucheraufklärung sein. Die Entwicklung der erforderlichen Nachfrage wird das Land gezielt unterstützen. Nur so lässt sich die Bereitschaft der Verbraucher, aber auch der Großverbraucher wie Kantinen, steigern, einen fairen Preis für biologisch erzeugte Produkte aus Baden-Württemberg zu zahlen und damit den erforderlichen weiteren Ausbau der Marktanteile von biologischen Erzeugnissen zu angemessenen Preisen zu erreichen.
Das Land baut Demonstrationsbetriebe mit vorbildlichen Naturschutzmaßnahmen auf, die als Anschauungsbetriebe für die ökologische und konventionelle Branche dienen.
Die Verpachtung der landeseigenen Flächen im Streubesitz erfolgt vorrangig, aber nicht ausschließlich an ökologisch wirtschaftende Betriebe. Es ist möglich, auf den Flächen beispielweise künftig auch bestimmte FAKT-Maßnahmen umzusetzen. So können auch konventionelle Betriebe die Flächen weiterhin bewirtschaften und es wird vermieden, dass arrondierte Flächen durch die Regelung aufgeteilt werden.
Für einen effektiven Schutz der Biologischen Vielfalt verpflichtet sich das Land, bis zum Jahr 2030 eine landesweite Reduktion des Einsatzes chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel um 40 bis 50 Prozent in der Menge zu erreichen. Das Land muss die Rahmenbedingungen so gestalten, dass das Ziel auch erreicht werden kann. Es gibt somit keine einzelbetriebliche Verpflichtung. Das Land fördert die Anschaffung neuer Technik und baut die Förderung des freiwilligen Verzichts von Pflanzenschutzmitteln stark aus.
Die Reduktion der ausgebrachten Menge an chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln soll dabei insbesondere durch folgende Maßnahmen erreicht werden:
- technische Weiterentwicklung,
- Substitution chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel durch biologische Verfahren und Mittel,
- Steigerung des Anteils ökologisch wirtschaftender Betriebe,
- Ausbau des Integrierten Pflanzenbaus,
- verstärkte Nutzung resistenter Sorten,
- Verbot von chemisch-synthetischen PSM im Privatbereich,
- Reduktion chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel im Bereich des Verkehrs (insbesondere Gleiskörper),
- Ausbau der Förderung zum PSM-Verzicht und verstärkte Nutzung von FAKT und LPR durch die landwirtschaftlichen Betriebe,
- optimierter Einsatz von PSM durch Ausbau der Beratung/Informationsvermittlung,
- Verbot von PSM in Naturschutzgebieten.
Die Zielerreichung wird durch ein Netz an freiwilligen Demonstrationsbetrieben gemessen und regelmäßig evaluiert.
Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist dabei auch, ob die Prozessqualität am Markt erfolgreich in Wert gesetzt werden kann. Dazu bedarf es auch einer entsprechenden Unterstützung im Bereich Marketing und Qualitätssicherung entlang den entsprechenden Wertschöpfungsketten, sowohl im Ökolandbau als auch für regionale konventionelle Produkte.
Tiere und Pflanzen brauchen dauerhafte Rückzugs- und Lebensräume auch im Offenland, damit sich die verbliebenen Bestände erholen können. Dazu sollen mittelfristig auf 10 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche sogenannte Refugialflächen geschaffen werden, zum Beispiel durch Umsetzung entsprechender FAKT- und LPR-Maßnahmen. Diese sind je landwirtschaftlicher Landnutzungsart auszuweisen und sollen von den landwirtschaftlichen Betrieben auf freiwilliger Basis gegen einen finanziellen Ausgleich erbracht werden. Es wird somit kein Betrieb gegen seinen Willen gezwungen, Refugialflächen auszuweisen.
Allerdings hat sich das Land zum Ziel gesetzt, dass auf jedem Betrieb 5 Prozent besonders biodiversitätsfördernde Maßnahmen umgesetzt werden. Hierzu wird das Land die Förderangebote für Refugialflächen attraktiv gestalten, damit die Betriebe auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht teilnehmen. Die Anerkennung von Refugialflächen wird durch eine Verwaltungsvorschrift geregelt. Ziel ist es, dass langfristig mehrjährige Maßnahmen dominieren. Im Rahmen der Förderung werden auch zusätzliche Maßnahmen je landwirtschaftlicher Landnutzungsart aufgenommen beziehungsweise ausgebaut und weiterentwickelt. Dabei sind solche Maßnahmen mit einem hohen Wirkungsgrad für die Artenvielfalt besonders vorteilhaft.
Im Frühsommer 2019 initiierte „proBiene“ in Baden-Württemberg das Volksbegehren „Rettet die Bienen“. Mit dem Gesetzentwurf sollte nach dem Willen der Antragsteller folgende Ziele erreicht werden:
- besserer Schutz von Biotopverbunden und Streuobstwiesen
- eingeschränkter Einsatz von Pestiziden
- mehr ökologische Landwirtschaft
Für den Zulassungsantrag wurden über 35.000 Stimmen gesammelt. Nachdem das Innenministerium am 14. August 2019 dem Antrag stattgegeben hatte, begann am 24. September 2019 die sechsmonatige Sammlung der Unterschriften.
Trotz vieler guter Vorschläge im Gesetzesentwurf des Volksbegehrens haben viele Aspekte auch Sorgen und Ängste insbesondere in der Landwirtschaft geweckt. Aus diesem Grund legten Franz Untersteller, Minister für Umwelt und Naturschutz, und Peter Hauk, Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Mitte Oktober 2019 ein gemeinsames Eckpunktepapier als Weiterentwicklung des Volksbegehrens vor. Es wurde am 22. Oktober 2019 vom Landeskabinett beschlossen.
Im Anschluss diskutierten Landesregierung, Landnutzerverbände und der Trägerkreis des Volksbegehrens „Rettet die Bienen“ intensiv über die konkrete Ausgestaltung der elf Eckpunkte und einigten sich am 18.12.2019 auf die Inhalte einer Gesetzesnovelle. Die Unterschriftensammlung für das Volksbegehren wurde bis auf weiteres ausgesetzt.
Ein erster Gesetzesentwurf zur Änderung des Naturschutzgesetzes und des Landwirtschafts- und Landeskulturgesetzes wurde im März 2020 vom Kabinett zur Anhörung freigegeben. Nach Abschluss der Anhörungsphase am 28. April 2020 und Auswertung der Stellungnahmen wurde der Gesetzentwurf nach erneuter Freigabe durch das Kabinett in den Landtag eingebracht und in der 2. Lesung am 22. Juli 2020 verabschiedet.
Damit die im Eckpunktepapier beschlossenen Maßnahmen auch erfolgreich umgesetzt werden können, hat die Landesregierung im Doppelhaushalt 2020/21 zusätzliche 60 Millionen Euro bereitgestellt. Hiermit fördert beispielsweise das Umweltministerium den weiteren Ausbau des Biotopverbunds im Land mit zwölf Millionen Euro.