THEMA Freigabe radioaktiver Abfälle

5. Infoforum „Nukleare Sicherheit und Strahlen­schutz“: Rückblick

Thema

„Freigabe radioaktiver Abfälle”

Ablauf

Das Infoforum ist eine interaktive Livestream-Veranstaltung. Die Veranstaltung wird aus den Räumen des Umweltministeriums übertragen.

Donnerstag, 2. Februar 2023

Beginn: 18:00 Uhr, Ende: 19:30 Uhr

Programm

  1. Begrüßung und Hinweise durch den Moderator der Veranstaltung, Ralf Heineken
  2. Einführung in das Themengebiet der „Freigabe” durch Thomas Wildermann, Leiter der Abteilung „Kernenergieüberwachung, Strahlenschutz” des Umweltministeriums
  3. Überblickvortrag zu allgemeinen Fragestellungen in Bezug auf das Thema „Freigabe” und gesetzliche Einordnung von Dr. Uwe Völker, stellvertretender Leiter des Referats „Entsorgung und Stilllegung” im Umweltministerium
  4. Fachvortrag zu den radiologischen und regulatorischen Randbedingungen der Freigabe von Christian Küppers, Fachexperte und ehemaliges Mitglied der Strahlenschutzkommission und der Entsorgungskommission
  5. Diskussion und Beantwortung von Fragen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter der Moderation von Ralf Heineken
  6. Hinweise zum Protokoll und Ankündigung des Termins für das nächste Infoforum am 20. April 2023 um 18 Uhr ebenfalls zum Thema „Freigabe radioaktiver Abfälle“

Eröffnung der Veranstaltung

Ralf Heineken begrüßt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des fünften Infoforums zum Thema „Freigabe radioaktiver Abfälle“. Das Infoforum „Nukleare Sicherheit und Strahlenschutz“ bietet als Online-Veranstaltung allen interessierten Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, unabhängig von deren Wohnort teilzunehmen. Ralf Heineken erläutert den vorgesehenen Ablauf über Cisco-Webex und die Möglichkeiten sich über Cisco-Webex aktiv in der Veranstaltung einzubringen. Zu Beginn wird unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine Umfrage darüber durchgeführt, wie diese auf die Veranstaltung aufmerksam geworden sind.

Bei der Freigabe von Abfällen handelt es sich um ein viel diskutiertes Thema, das durch den fortschreitenden Rückbau der Kernkraftwerke immer stärker in den Fokus der Öffentlichkeit rückt. Insbesondere das 10-µSv-Konzept und weitere strahlenschutzrechtliche Grundlagen sollen in dieser Veranstaltung behandelt werden. Mit der Freigabe werden die Abfälle aus dem Regelungsbereich des Atomgesetzes entlassen und gehen in den des Abfallrechts über. Aufgrund des großen Umfangs dieses Themengebietes befassen sich zwei Veranstaltungen des Infoforums mit der Freigabe. Die zweite Veranstaltung wird am 20. April stattfinden und stärker auf die Herausforderungen vor Ort und die Aufgaben der Verwaltung eingehen.

Als Referenten begrüßt Ralf Heineken zunächst Thomas Wildermann, der als Leiter der Abteilung „Kernenergieüberwachung, Strahlenschutz“ in einem kurzen Überblickvortrag das heutige Thema einordnen und die Aufgaben der relevanten Akteure aufzeigen wird. Er begrüßt ferner Dr. Uwe Völker, stellvertretender Leiter des Referats „Entsorgung und Stilllegung” im Umweltministerium, der darstellen wird, um was es sich bei der Freigabe genau handelt und wozu diese benötigt wird, und Christian Küppers. Letzterer ist ein langjähriges Mitglied sowohl der Strahlenschutz- als auch der Entsorgungskommission und war vor seinem Ruhestand Mitarbeiter des Öko-Instituts. Im Mittelpunkt seines Vortrags über den fachlichen Hintergrund der Freigabe werden die radiologischen Grundlagen, das 10-µSv-Konzept sowie Freigabewerte stehen.

Einführung in das Themengebiet der „Freigabe” durch Thomas Wildermann

Nach einer kurzen Begrüßung ordnet Thomas Wildermann das Themengebiet der Freigabe mit Hilfe einer PowerPoint-Präsentation [PDF; 02/23; 327 KB] in den Gesamtzusammenhang ein und stellt die beteiligten Akteure bei diesem Prozess vor.

Zur aktuellen Situation in Deutschland führt er aus: Im Atomgesetz ist die Beendigung des Leistungsbetriebs der drei, noch im Betrieb befindlichen Kernkraftwerke spätestens zum 15. April 2023 gesetzlich festgelegt. Nach dem Atomgesetz sind die Betreiber zudem verpflichtet, die Anlagen zügig zurückzubauen. Die Betreiber sind sowohl mit qualifiziertem Personal als auch mit Finanzmitteln für diese Aufgabe gut ausgestattet. Dies bietet die Chance auf einen zügigen Rückbau der Kernkraftwerke. In Baden-Württemberg liegen für die Anlagen KWO, KKP 1 und 2 sowie GKN I alle erforderlichen Abbaugenehmigungen vor. Die rechtlichen Voraussetzungen für den Rückbau der Anlagen sind somit bereits vorhanden.

Im Rahmen der Erteilung der Abbaugenehmigung hat das Umweltministerium als Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde die anfallenden Abfallmengen sowie die Abfallpfade detailliert betrachtet. In den Genehmigungen sind die entsprechenden Regelungen hierzu bereits enthalten. Ein erheblicher Teil der anfallenden Reststoffe aus dem Abbau kann entweder direkt oder nach weiterer Bearbeitung wie konventioneller Abfall behandelt werden. Die Freigabe, die den Prozess der Entlassung von Reststoffen aus dem Atomgesetz darstellt, ist in der Strahlenschutzverordnung klar geregelt und stellt eine zentrale Aktivität beim Abbau der Kernkraftwerke dar. Aufgrund der Komplexität und der Relevanz bietet es sich an, dieses Themengebiet im Infoforum zu behandeln.

In dem Prozess der Freigabe sind unterschiedliche Akteure involviert. Die Abfallverursacher sind in diesem Fall die Betreiber der Kernkraftwerke. Die Aufsichtsbehörde sowie von ihr hinzugezogene Sachverständige sind insbesondere in die Organisation und aufsichtliche Kontrolle des Prozesses der Freigabe eingebunden. Nach der Freigabe werden die Reststoffe wie konventionelle Abfälle behandelt und entsorgt, weshalb auch die Abfallbehörden beteiligte Akteure sind. Zudem gibt es ein großes öffentliches Interesse. Die Bürgerinnen und Bürger müssen deshalb über den Sinn und Zweck sowie das grundsätzliche Vorgehen bei der Freigabe und die radiologischen Grundlagen transparent informiert werden.

Je nach Freigabepfad sind auch die Abfallverwerter involviert, die die Abfälle erhalten und diese, beispielweise durch Einschmelzen, weiterbehandeln. Ebenfalls beteiligt sind die betroffenen Landkreise, die Deponiebetreiber und gegebenenfalls die Sachverständigen der Deponiebetreiber, die bei der Deponierung von Abfällen Aufgaben haben.

Der Ablauf eines Freigabeverfahrens und der Verwaltungsvollzug mit den Rollen der Verwaltung und der zugezogenen Sachverständigen sollen in der sechsten Veranstaltung des Infoforums am 20. April näher betrachtet werden. Außerdem können dann Einzelfragen, beispielsweise zur Deponierung der freigegebenen Abfälle, auch unter Beteiligung involvierter Personen aus der Politik diskutiert werden.

Überblickvortrag zu allgemeinen Fragestellungen in Bezug auf das Thema "Freigabe" und gesetzliche Einordnung von Dr. Uwe Völker

Anhand einer PowerPoint-Präsentation [PDF; 02/23; 1,7 MB] gibt Dr. Uwe Völker einen Überblick zu den allgemeinen Regelungen zur „Freigabe“ in der Strahlenschutzverordnung. Dabei geht er zunächst darauf ein, um was es sich bei der Freigabe genau handelt und welchen Zweck diese erfüllt. Anschließend stellt er vermeintliche Alternativen zur Freigabe dar und geht schließlich auf die unterschiedlichen Freigabepfade ein.

Hierzu führt er aus: Bei der Freigabe nach der Strahlenschutzverordnung handelt es sich um ein Verfahren, wodurch Stoffe aus dem Bereich der strahlenschutz- beziehungsweise atomrechtlichen Aufsicht und somit aus dem Geltungsbereich des Atomgesetzes entlassen werden. Hierzu muss nachgewiesen werden, dass die, von diesen Stoffen ausgehende Strahlung zu vernachlässigen ist und bestimmte Grenzwerte eingehalten werden. Von diesen Abfällen darf, radiologisch betrachtet, keine Gefahr für den Menschen und die Umwelt ausgehen. Entsprechend des Strahlenschutzgesetzes ist dies der Fall, wenn die Aktivität außer Acht gelassen werden kann. Die Aktivität wird in Becquerel angegeben. Ein Becquerel entspricht einem Zerfall pro Sekunde. Die Basis für die Freigabe bieten dabei zum einen die radiologischen Grenzwerte für verschiedene Freigabepfade nach der Strahlenschutzverordnung, zum anderen radiologische Messungen der Abfälle, die nach den Vorgaben der Strahlenschutzverordnung durchzuführen sind. Außerdem gibt es noch regulatorische Festlegungen zum Freigabeverfahren, die beachtet werden müssen.

Im Folgenden geht Dr. Uwe Völker näher darauf ein, warum die Freigabe erforderlich ist. Nach dem Atomgesetz sind die Anlagen, deren Betreiber Einzahlende nach Paragraf 2 Absatz 1 des Entsorgungsfondsgesetzes sind, also insbesondere die Kernkraftwerke, unverzüglich stillzulegen und abzubauen. Dieser Rückbau ist sowohl gesellschaftlich als auch politisch gewollt.

Im Atomgesetz (Paragraf 2 d) ist festgelegt, dass die radioaktiven Abfälle auf ein Maß zu beschränken sind, das hinsichtlich der Aktivität und des Volumens vernünftigerweise realisierbar ist. Dementsprechend darf eine Entsorgung als radioaktiver Abfall in ein Endlager nur dann erfolgen, wenn eine Freigabe und somit eine Entlassung der zuvor als radioaktiv geltenden Stoffe aus dem Atomgesetz nicht möglich ist (Paragraf 2 Absatz 5 Entsorgungsübergangsgesetz). Somit erfordern bereits die gesetzlichen Voraussetzungen ein Freigabeverfahren.

Anhand einer Übersichtsfolie stellt Dr. Uwe Völker die typische Verteilung der Massen vor, die beim Rückbau eines Kernkraftwerks anfallen. Im Fall von Kernkraftwerk Neckarwestheim II handelt es sich ungefähr um eine Gesamtmasse von 811.300 Tonnen, die beim Rückbau anfällt.

Bei ungefähr zwei Dritteln der Abfälle handelt es sich um nicht-kontaminierte beziehungsweise nicht-aktivierte Abfälle, die konventionell entsorgt beziehungsweise weiterverarbeitet werden können. Nur ein sehr kleiner Anteil von etwa einem Prozent wird als radioaktiver Abfall in ein Endlager verbracht. Die restlichen circa 34 Prozent der Abfälle, was in etwa 281.000 Tonnen entspricht, werden dem Freigabeprozess zugeführt. Hierunter fallen alle Stoffe, die aus dem Kontrollbereich stammen. Diese sind zunächst bis zur Freigabe als radioaktive Stoffe zu betrachten. Bei solchen freigegebenen Abfällen kann es sich beispielsweise um metallische Halterungen eines Rohrleitungssystems, Trägersysteme, zerkleinerte Betonmaterialien aus der Gebäudestruktur, Elektroleitungen oder alltägliche Dinge wie Treppengeländer handeln.

Anschließend betrachtet Dr. Uwe Völker vermeintliche Alternativen zur Freigabe, die regelmäßig in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Würden radioaktive Reststoffe nicht freigegeben werden, müssten sie anderweitig gelagert beziehungsweise entsorgt werden. Der Verbleib dieser Abfälle am Standort, beispielsweise in Form des sicheren Einschlusses des gesamten Kernkraftwerks oder in Form eines Depots mit den entsprechenden Gebinden, würde jedoch einen Verstoß gegen das Atomgesetz darstellen. Außerdem erfordert diese Alternative eine dauerhafte Überwachung, mit allen damit verbundenen Unklarheiten und Nachteilen. Die Abfälle den nächsten Generationen zu hinterlassen, beispielsweise in Form eines sicheren Einschlusses, kann keine Lösung sein. Dies ist sowohl politisch als auch gesellschaftlich nicht gewollt.

Ein weiterer zuweilen genannter Vorschlag ist, die für die Freigabe vorgesehenen Abfälle in ein Endlager einzulagern. Das Endlager Schacht Konrad, das für schwach- und mittelradioaktive Abfälle vorgesehen ist, wurde für eine Kapazität von 303.000 Kubikmeter genehmigt. Dies entspricht ungefähr 727.000 Tonnen Beton oder 2.363.000 Tonnen Stahl. Die ungefähre Masse an freizugebenden Reststoffen aus GKN II beträgt circa 281.000 Tonnen. Da in Deutschland insgesamt 23 Kernkraftwerke rückgebaut werden müssen, ist es schon alleine aus Kapazitätsgründen unmöglich, diese Abfälle ins Endlager Konrad einzulagern. Dr. Uwe Völker betont, dass das Hauptargument aber ist, dass eine Endlagerung aus radiologischer Sicht bei den freizugebenen Stoffen nicht nötig ist, da die Aktivität vernachlässigbar ist.

Im Hinblick auf die Freigabepfade differenziert man zwischen der uneingeschränkten und der spezifischen Freigabe. Das Material, das uneingeschränkt freigegeben wird, kann ohne Einschränkungen verwendet werden. Bei der spezifischen Freigabe hingegen gelten von der uneingeschränkten Freigabe abweichende Freigabewerte und Bestimmungen zur Verwendung. Beispiele hierfür sind Stoffe zur Beseitigung auf Deponien oder zur Beseitigung in einer Verbrennungsanlage, Metallschrott zum Recycling oder auch Gebäude zum Abriss beziehungsweise zur Wieder- und Weiterverwendung. Diesbezügliche Festlegungen sind in der Anlage 4 der Strahlenschutzverordnung beschrieben.

Zusammenfassend stellt Dr. Uwe Völker dar, dass der Prozess der Freigabe, der die Entlassung von Stoffen aus der atomrechtlichen Überwachung darstellt, zwingend nötig für den Rückbau der Kernkraftwerke ist. Zudem können hierdurch die Stoffe zurück in den Stoffkreislauf geleitet und weiterverwendet werden. Die Basis für die Freigabe stellen die sogenannten Freigabewerte dar.

Fachvortrag zu den radiologischen und regulatorischen Randbedingungen der Freigabe von Christian Küppers

In Form einer PowerPoint-Präsentation [PDF; 02/23; 2,7 MB] beleuchtet Christian Küppers die radiologischen und regulatorischen Grundlagen der Freigabe [PDF] und geht insbesondere auf das Dosiskriterium und die Freigabewerte ein.

Zu den strahlenschutzrechtlichen Grundlagen der Freigabe führt er aus: Durch die Freigabe darf keine Person der Bevölkerung, auch kein Kleinkind, im Kalenderjahr eine effektive Dosis erhalten, die den Bereich von 10 µSv überschreitet. Im Bereich von 10 µSv kann auf eine weitere Regulierung verzichtet werden, da das Risiko, das von dieser Dosis ausgeht, sehr gering ist. Maßnahmen zur zusätzlichen Dosisvermeidung wären hier nicht mehr verhältnismäßig. Dies entspricht dem „De minimis-Konzept“, was bedeutet, dass sich das Gesetz nicht um Geringfügigkeiten kümmert. Dieses Prinzip ist ein etabliertes Rechtsprinzip, das auch außerhalb des Strahlenschutzes angewendet wird. Das 10-µSv-Konzept ist international anerkannt und wird  beispielsweise in den Euratom-Strahlenschutzgrundnormen der EU angewendet.

Spricht man in diesem Zusammenhang von einem Risiko, so bezieht sich dies auf die Wahrscheinlichkeit eines Schadens durch eine Dosis von 10 µSv. Als Schaden bezeichnet man hierbei eine schwerwiegende Erkrankung, einen Erbschaden oder einen Todesfall. Die Internationale Strahlenschutzkommission hat einen Risikoeffizienten hergeleitet, der die Eintrittswahrscheinlichkeit und die Schwere des Schadens bei einer Strahlenexposition umfasst. Er wird auch als Detriment bezeichnet. Dieser Betrachtung liegt die Annahme zugrunde, dass es keinen Schwellenwert gibt, unterhalb dem ein Gesundheitsrisiko ausgeschlossen werden kann. Jede Dosis führt demnach mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden. Hierbei handelt es sich um eine konservative Abschätzung, da es bisher keinen wissenschaftlichen Beweis gibt, dass eine Dosis von 10 µSv tatsächlich einen Schaden verursacht. Mit Hilfe dieser Annahme, dass es keinen Schwellenwert gibt, ergibt sich durch eine Dosis von 10 µSv ein Risiko von 5,7·10-7 beziehungsweise von 1:1,75 Millionen. Dieses Risiko ist im Vergleich mit vielen anderen Risiken sehr gering, weshalb der Aufwand für eine weitere Reduzierung nicht mehr verhältnismäßig ist. Das Risiko, dass eine Person aus der Bevölkerung überhaupt eine Dosis aus der Freigabe erhält, ist hierbei noch nicht miteingerechnet. Somit ist das Risiko im Hinblick auf einen Schaden noch deutlich niedriger.

In einem Diagramm vergleicht Christian Küppers anschließend die Dosis von 10 µSv mit dem Jahresgrenzwert des beruflichen Strahlenschutzes und weiteren ausgewählten Dosiswerten. Der Jahresgrenzwert für beruflich strahlenexponierte Personen beträgt 20.000 µSv, also das 2000-fache der für die Freigabe relevanten 10 µSv. Die mittlere Dosis des fliegenden Personals durch Höhenstrahlung liegt bei etwa 2.000 µSv, die durchschnittliche Jahresdosis einer Person aus der Bevölkerung durch medizinische Untersuchungen beträgt ungefähr 1.700 µSv. Hierbei handelt es sich um einen auf die gesamte Bevölkerung bezogenen Durchschnittswert. Einzelne diagnostische Untersuchungen können bereits ein Vielfaches dieser Strahlenexposition für eine Person bedeuten. Die Dosis von 10 µSv lässt sich ebenfalls mit der natürlichen Strahlung durch Radon und seinen Folgeprodukten in Wohnungen vergleichen. Während die durch Radon verursachte Dosis in der Region Hannover in Innenräumen im Durchschnitt circa 700 µSv beträgt, liegt sie beispielsweise in den Landkreisen Passau oder Fulda bei etwa 1600 µSv. Insgesamt beträgt die mittlere natürliche Dosis, der jeder Mensch in Deutschland pro Jahr ausgesetzt ist, circa 2100 µSv. Sie stammt neben Radon noch aus terrestrischer und kosmischer Strahlung und sowie der Strahlung aus Lebensmitteln. Die Dosis durch natürliche Strahlenexposition ist somit je nach Wohnort sowie den individuellen Ernährungs- und Lebensgewohnheiten unterschiedlich und weist eine große Schwankungsbreite von 1000 µSv bis 10.000 µSv pro Jahr auf.

Im Folgenden geht Christian Küppers auf die Freigabewerte ein. Grundsätzlich ist es nicht möglich, explizit eine Dosis von 10 µSv, die auf einem freigegebenen Stoff zurückzuführen ist, zu erfassen. Sie wäre beispielsweise durch eine viel höhere natürliche und zivilisatorische Strahlenexposition überlagert. Zudem handelt es sich um eine Exposition, die zum Teil erst in ferner Zukunft auftreten kann. Daher wird die Dosis durch eine Modellierung abgeschätzt. Die Dosis wird anschließend in eine Aktivität umgerechnet, die das freigegebene Material noch aufweisen darf. Dies sind die sogenannten Freigabewerte, die im Anhang der Strahlenschutzverordnung für die jeweiligen Nuklide aufgelistet sind. Die Freigabewerte sind dort entweder in Bq/g (massenbezogene Aktivität) oder in Bq/cm2 (flächenbezogene Aktivität) dargestellt. Die Einhaltung der entsprechenden Freigabewerte wird durch Voruntersuchungen, wie beispielsweise Laboranalysen, Probenahmen oder auch historische Recherchen und abschließend durch Entscheidungsmessungen zur Freigabe nachgewiesen und sichergestellt.

Anhand mehrerer Übersichtsfolien geht Christian Küppers auf die Herleitung der Freigabewerte für die Beseitigung auf einer Deponie sowie in einer Verbrennungsanlage ein. Bei der Abschätzung der Dosis mit Hilfe einer Modellierung müssen oft viele verschiedene Expositionspfade betrachtet werden, die eine Vielzahl unterschiedlicher Personen aus der Bevölkerung sowie verschiedene Zeiträume betreffen. Dies können beispielsweise Beschäftigte während des Transports, in einer Deponie oder anderen Entsorgungsanlagen sein. Ebenfalls betrachtet werden Anwohner im Umfeld einer Verbrennungsanlage, die eine mögliche Dosis beispielsweise über auf Nahrungsmitteln abgelagerte Radionuklide aufnehmen. Auch Personen, die in größerer Entfernung zu einer Entsorgungsanlage leben, müssen berücksichtigt werden. Diese könnten über das Trinkwasser aus einem Gewässer, in das Deponiesickerwasser über eine Kläranlage gelangt ist, exponiert werden. Zudem wird die Exposition für Anwohner im Umfeld einer Entsorgungsanlage in ferner Zukunft, beispielsweise aufgrund eines Versagens einer Deponiebasisabdichtung nach mehr als 100 Jahren, betrachtet.

Bei Betrachtung all dieser Expositionsszenarien darf die am höchsten exponierte Person maximal eine Dosis von 10 µSv erhalten. Diese Person bestimmt somit den Freigabewert. Dementsprechend ergibt sich in der Regel für alle weiteren Personengruppen eine erheblich geringere Dosis als 10 µSv. Dies gilt beispielsweise für Anwohner einer Deponie. Deren mögliche Dosis wird weitaus geringer sein, als die der Beschäftigten auf der Entsorgungsanlage. Christian Küppers weist ferner darauf hin, dass bei der Modellierung der Dosis immer die Gesamtmasse, die freigegeben und zum Beispiel auf einer Deponie angeliefert werden soll, betrachtet wird. Findet beispielsweise eine Freigabe mit Freigabewerten für bis zu 1000 Tonnen pro Jahr zur Deponierung statt, so werden die 10 µSv pro Jahr erst erreicht, wenn 1000 Tonnen pro Jahr mit der maximal zugelassenen massenbezogenen Aktivität auf einer Deponie abgelagert werden. Sind beispielsweise jedoch am Jahresende hiervon nur 700 Tonnen angeliefert worden, so kann die maximale Dosis, die eine Person der Bevölkerung durch diese Menge des freigegebenen Stoffes erhält, 7 µSv pro Jahr nicht übersteigen.

Insgesamt ist die Modellierung bei der Herleitung der Freigabewerte sehr komplex. Es fließt eine Vielzahl von unterschiedlichen Randbedingungen in diesen Prozess ein. Die entscheidende Größe im Strahlenschutzrecht ist das Dosiskriterium. Bestehen bei einzelnen Freigabewerten Zweifel, dass das Dosiskriterium eingehalten ist, so müssen diese abgesenkt werden. In Baden-Württemberg wurden zahlreiche Untersuchungen zu den einzelnen konkreten Entsorgungswegen - auch zur Anlieferung von freigegebenen Abfällen an Deponien sowie deren mögliche Nachnutzung - durchgeführt.

Gegen Ende des Vortrags geht Christian Küppers noch auf die Frage ein, inwieweit die Summe aller durch Freigaben möglicher Dosen eine Auswirkung auf die Bevölkerung hat. Nach dem ersten deutschen Ausstiegsbeschluss 2002 gab es eine Untersuchung des Kollektivrisikos, da hier ein paralleler Rückbau vieler Kernkraftwerke erwartet wurde. Das Ergebnis der Untersuchung war, dass ohne Annahme einer Wirkungsschwelle im ungünstigsten Jahr insgesamt in Deutschland nur etwa 0,04 Schadensfälle (Todesfälle oder schwerwiegende Erkrankungen) zu erwarten wären. Im Vergleich hierzu treten statistisch gesehen circa 10.000 Schadensfälle durch natürliche Strahlung im Jahr auf.

Zusammenfassend stellt Christian Küppers fest: Das Konzept der Freigabe beruht auf einem etablierten Rechtsprinzip, dem „De minimis-Prinzip“. Das Dosiskriterium der Freigabe (10-µSv-Kriterium) legt eine Dosis fest, die gegenüber der natürlichen Strahlenexposition und deren Bandbreite vernachlässigbar ist. Zugelassene, zivilisatorisch bedingte Strahlenexpositionen, beispielsweise aufgrund von diagnostischen Untersuchungen, übersteigen diesen Wert oft um ein Vielfaches. Die Festlegung der Freigabewerte basiert auf der Betrachtung der maximal exponierten Person in einer Vielzahl von möglichen Szenarien. In der Regel bestimmt eine Personengruppe, beispielsweise im Fall der Deponierung von Abfällen aus der Kerntechnik das Deponierpersonal, den Freigabewert. Für Personen der allgemeinen Bevölkerung sind somit die Expositionen noch niedriger.

Diskussion und Beantwortung von Fragen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter der Moderation von Ralf Heineken

Thematik Dosiskriterium und Freigabewerte

Thematik des Freigabeprozesses

Thematik der Entsorgung

Hinweise zum Protokoll und Termin des nächsten Infoforums

Zum Abschluss des Infoforums bittet Thomas Wildermann die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, ebenfalls an der nächsten Veranstaltung des Infoforums zum Thema „Freigabe radioaktiver Abfälle“ am 20. April um 18 Uhr teilzunehmen. Bei diesem Termin wird das Freigabeverfahren, auch anhand von Beispielen, sowie die Arbeit der Aufsichtsbehörde noch detaillierter dargestellt. Eine Diskussionsrunde unter Beteiligung eines politischen Vertreters des Umweltministeriums als auch eines Vertreters eines Landkreises ist ebenfalls geplant. Hier können Fragen, beispielsweise zur Deponierung freigemessener Abfälle, behandelt werden.

Das Umweltministerium erstellt und veröffentlicht zu jeder Veranstaltung des Infoforums einen Rückblick auf seiner Internetseite. Fragen und Themenwünsche für das Infoforum können jederzeit formlos per E-Mail infoforum@um.bwl.de an das Umweltministerium gerichtet werden.