Am 2. Oktober trifft sich die Branche auf dem Windbranchentag in Böblingen, Sie werden einen Impulsvortrag halten. Welchen Stellenwert hat die Windkraft für Baden-Württemberg?
Baden-Württemberg ist ein Land mit einem hohen Energieverbrauch. Deswegen macht es Sinn, diese Energie auch hier am Standort zu produzieren. Und das geht nicht ohne Windenergie. Alle Studien, die wir dazu angestellt haben – Stichwort Klimaneutralität, Versorgungssicherheit und Strombedarf – zeigen klar: Sonne und Wind, das sind die Hauptbausteine einer zukunftsfähigen Energieversorgung, und deswegen ist mir die Windenergie ein Herzensanliegen.
Das Land erlebt gerade einen kräftigen Aufschwung bei den Antragszahlen von Windenergieanlagen. Dennoch ist beim Ausbau noch viel Luft nach oben. Wo liegen aktuell die größten Hürden?
Ich bin überzeugt, dass wir die wesentlichen Hürden inzwischen abgebaut haben. Das ist ein Erfolg dieser Legislaturperiode. Gemeinsam mit allen Akteuren, von der Windenergiebranche über die Netzbetreiber und Energieunternehmen bis hin zu kommunalen Vertretern, haben wir uns gefragt: Was können wir tun, die Verfahren zu beschleunigen? Nachweislich sind die Genehmigungszeiten deutlich kürzer geworden. Und ich freue mich über diesen Aufbruch, der sich jetzt durch die hohen Antragszahlen zeigt. Die Botschaft dahinter lautet: Baden-Württemberg ist ein guter Windstandort.
Das war die letzten Jahre nicht immer so.
Nein. Wir mussten viel Kritik einstecken, warum es nicht vorwärts geht. Und jetzt geht es richtig vorwärts. Das ist eine sehr positive Botschaft. Daher ist der wichtigste Appell im Moment: Wir müssen Kurs halten. Es darf nicht sein, dass dieser Aufbruch, den wir so dringend brauchen, jetzt wieder abgewürgt wird. Ich möchte, dass die Anlagen, die beantragt werden, am Ende auch in Betrieb gehen können.
Die Bundesregierung hat zuletzt einige widersprüchliche Signale an die Erneuerbaren-Branche gesendet. Wie sehen Sie diese Entwicklungen?
Was wir jetzt brauchen in Deutschland, und besonders in Baden-Württemberg, ist Verlässlichkeit und Klarheit. Uns ist etwas Bemerkenswertes gelungen: Wir haben einen Turnaround geschafft, die Erneuerbaren gehen nach oben. Deutschland ist in der Europäischen Union das Land mit dem stärksten Windenergieausbau. Das ist eine gute Nachricht. Jetzt müssen wir dranbleiben und nicht zwei Gänge runterschalten. Die Projektträger haben schon genügend Herausforderungen zu meistern. Ich denke da an die Engpässe bei den Lieferzeiten und den Fachkräftemangel. Da muss wenigstens politisch klar sein, dass wir jetzt in einem Geist des Ermöglichens diesen Weg weitergehen.
Befürchten Sie, dass der Erneuerbaren-Ausbau ins Stocken geraten könnte?
Das haben wir bereits in früheren Jahren gesehen. Es gab eine Zeit des Aufbruchs und dann sind die Ausbauzahlen plötzlich wieder eingebrochen. Insofern dürfen wir uns nicht auf den aktuellen Zahlen ausruhen. Die Ukrainekrise hat uns noch mal vor Augen geführt, dass wir selbst Energie produzieren müssen, um unabhängig von globalen Märkten zu sein. Und auch wenn der Strombedarf nicht so stark gewachsen ist, wie für 2030 prognostiziert: Mittel- und langfristig werden wir die Elektrifizierung brauchen. Deswegen kann ich nur appellieren, an den ambitionierten Ausbauzielen festzuhalten. Wir sollten viel mehr darüber sprechen, wie wir das ermöglichen können, als nur darüber, was nicht geht.
Was entgegnen Sie Kritikern, die meinen, die Energiewende sei zu teuer?
Wenn man viele Jahre versäumt hat, die Infrastruktur zu modernisieren und zu digitalisieren, muss man sich nicht wundern, wenn es immer teurer wird. Da müssen wir endlich vorwärtskommen. Im Vergleich zu anderen Ländern hängen wir bei der Digitalisierung, zum Beispiel dem Rollout von Smart Metern, weit hinterher. Aktuell mag das vermeintlich günstiger sein, aber die Rechnung geht nicht auf. Das wird uns teuer zu stehen kommen, wenn wir das weiter aufschieben und nicht endlich in ein moderneres System investieren. Davon abgesehen möchte ich daran erinnern, dass wir uns Klimaziele gesetzt haben. Und die wollen wir auch erreichen. Damit wird die Energieversorgung günstiger, zuverlässiger und sicherer werden – also ein Gewinn für die ganze Gesellschaft.
Projektierer und Investoren mahnen immer wieder an, dass sie mehr Planungssicherheit brauchen. Wie arbeiten Sie daran, diese Sicherheit zu gewährleisten?
Ich setze mich massiv dafür ein, dass wir die Standortnachteile, die wir im Südwesten im Vergleich zum Flachland an der Küste haben, ausgleichen können. Daher ist das Referenzertragsmodell so wichtig für uns. Der Koalitionsvertrag deutet an, dass es überprüft werden soll. So eine Formulierung ist Gift, denn sie schafft Unsicherheit. Und das ist eine schlechte Voraussetzung für Investitionen. Ich erwarte jetzt klare Entscheidungen in eine Richtung. Die Projektierer brauchen Gewissheit, dass die Spielregeln in einem halben Jahr nicht wieder anders aussehen. Dafür setze ich mich gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen in anderen Bundesländern ein und appelliere dringend an die Bundesregierung, diese Planungssicherheit zu schaffen.
Eine große Rolle für den Erfolg der Energiewende spielt die Akzeptanz der Bevölkerung. Bei neuen Windparks ist zum Teil noch viel Überzeugungsarbeit nötig. Erleben Sie das in Ihrer politischen Arbeit ähnlich?
Ja, auf jeden Fall. Ich finde das immer wieder interessant. Windenergieanlagen sind eine neue Art von Infrastruktur. Doch bei einigen Diskussionen bekommt man fast den Eindruck eines Kulturkampfs: Darf es Windenergie im Wald geben? Verschandelt sie denkmalgeschützte Objekte oder sogar ganze Landschaftsbilder? Dabei ist unser ganzes Land voller moderner Infrastruktur. Die sehen wir inzwischen nicht mehr, weil wir daran gewöhnt sind. Genauso wird es auch bei der Windenergie sein: Wir müssen lernen, diese als einen selbstverständlichen Teil unserer Infrastruktur zu betrachten. Das gilt nicht nur für den Süden Deutschlands. Dazu gehört, den konkreten Mehrwert für die Menschen vor Ort aufzuzeigen – und weit verbreitete Mythen aufzuklären.
Positive Signale kommen inzwischen auch aus der Industrie, die vermehrt auf Erneuerbare setzt.
Unternehmen sind auf eine verlässliche, planbare und bezahlbare Energieversorgung angewiesen. Erneuerbare machen daher nicht nur ökologisch Sinn, sondern auch ökonomisch. Gerade die Windenergie ist inzwischen ein wichtiger Standortfaktor geworden. Und wenn ich sehe, welche Innovationen der Greentech-Markt hervorbringt, stimmt mich das für die Zukunft sehr zuversichtlich. Hier entstehen Arbeitsplätze, und das Handwerk profitiert vom Ausbau der Erneuerbaren. Darin liegt eine große Chance.
Eine politische Diskussion dreht sich um den Netzausbau. Die große Frage ist: Wer richtet sich nach wem?
Die Antwort kann nicht sein: Der Netzausbau ist schwierig und teuer, dann fahren wir auch den Erneuerbaren-Ausbau wieder zurück. Vielmehr sollte uns das weiter bestärken, in moderne Netze zu investieren. Wir müssen außerdem flexibilisieren, daran führt kein Weg vorbei. Das ist die Voraussetzung dafür, dass wir die Leistung im Netz steuern können. Dafür hat die letzte Bundesregierung den Grundstein gelegt. Und jetzt gilt es, das weiter auszubauen.
In Baden-Württemberg soll das Projekt SyNEA den Ausbau der Erneuerbaren und der Netze synchronisieren. Was ist die Idee dahinter?
Die Frage war: Wie können wir es schaffen, das Zusammenspiel aller Akteure zu verbessern? Wir wollten weg von dieser Henne-Ei-Diskussion, denn wir brauchen den Ausbau auf beiden Seiten. Das muss uns jetzt gelingen, und dafür müssen wir Hand in Hand arbeiten. SyNEA soll diesen Dialogprozess ermöglichen und dafür sorgen, dass sich Netzanfragen einfacher und schneller umsetzen lassen.
Im März stehen die Landtagswahlen an. Welche Themen nehmen Sie mit in den Wahlkampf?
Das Thema Energie ist zentral, auch für die Wirtschaft. Es wird so viel über negative Auswirkungen und Kosten diskutiert, aber wir sollten viel mehr darüber sprechen, was wir bereits geschafft haben – und was wir noch schaffen können. In Baden-Württemberg sind wir dabei, standortnah günstige und saubere Energie zu produzieren. Wir haben gezeigt, dass wir es können, und diesen Weg sollten wir konsequent weitergehen. Ein zweiter wichtiger Punkt sind die Klimaziele, die mir als Umweltministerin besonders am Herzen liegen. Nicht als Selbstzweck, sondern weil es darum geht, unsere Lebensgrundlagen und unsere Gesundheit zu schützen. Auch die Anpassung an den Klimawandel wird ein wichtiges Thema sein. Das betrifft genauso die kritische Energie-Infrastruktur, die unter Naturkatastrophen wie Hochwasser und Hitzewellen leidet.
Die Klimaziele in Baden-Württemberg sind sehr ehrgeizig: Bis 2040 will das Land klimaneutral werden – fünf Jahre früher als der Bund. Sind Sie auf Kurs?
Der Energiesektor wird auf jeden Fall dazu beitragen. Im Gebäudebereich müssen wir dranbleiben, damit wir den kleinen Aufbruch, den wir durch den steigenden Absatz von Wärmepumpen und Balkonkraftwerken sehen, weiterführen können. Wichtig ist auch, dass die Kommunen ihre Wärmepläne umsetzen. Der Verkehrssektor bleibt ein schwieriges Thema. Da brauchen wir die Energie, um die Elektromobilität weiter zu pushen.
Sie haben also noch Hoffnung, die Klimaziele zu erreichen?
Ich bin weiter zuversichtlich, dass wir das schaffen können. Klar, es ist nicht einfacher geworden. Wir haben multiple Krisen und Konflikte in der Welt, die für Verunsicherung sorgen. Deswegen sollten wir alles daransetzen, mit unserer politischen Agenda einen sicheren Rahmen zu schaffen.
Quelle: neue energie (das magazin für klimaschutz und erneuerbare energien), erschienen am Donnerstag, 18. September 2025 (digital) und Montag, 29. September 2025 (Printausgabe). Das Interview führte Christiane Nönnig.