Kernkraft

Abweichung vom Betriebshandbuch bei Freischaltungen im Kernkraftwerk Philippsburg (Block 2)

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Kernkraftwerk Philippsburg ohne Türme (Aufnahme vom 03.06.2020)

Einstufung: Meldekategorie N (Normalmeldung); Nach internationaler Bewertungsskala INES „Stufe 0“ – keine oder sehr geringe sicherheitstechnische Bedeutung

Aktuell befinden sich im Lagerbecken des bereits stillgelegten Kernkraftwerks Philippsburg 2 (KKP 2) noch abgebrannte Brennelemente. Eine aktive Kühlung ist deshalb weiterhin notwendig. Seit der endgültigen Abschaltung hat sich jedoch die abzuführende Nachzerfallswärme durch das Abklingen der Radioaktivität deutlich reduziert. In diesem Zustand dürfen gemäß kerntechnischem Regelwerk bestimmte Anforderungen an die drei Kühlkreisläufe reduziert werden. Der Betreiber hat daher ein Änderungsverfahren durchgeführt, um die Vorschriften in seinem Betriebshandbuch entsprechend anzupassen. Das geänderte Betriebshandbuch trat am 12.11.2021 in Kraft.

Bei einer routinemäßigen Instandhaltung an einem der Kühlkreisläufe am 15.11.2021 hat der Betreiber festgestellt, dass das geänderte Betriebshandbuch die Instandhaltung dieses Kühlkreislaufs nicht mehr erlaubt. Die Instandhaltung war noch gemäß dem alten Betriebshandbuch eingeplant worden. Der Betreiber hat daraufhin die Instandhaltung abgebrochen und den freigeschalteten Kühlkreislauf noch am gleichen Tag wieder funktionsbereit gemacht.

Sicherheitstechnische Bedeutung ist gering

Beim jetzigen Anlagenzustand ist jeder einzelne der drei Kreisläufe für die Kühlung des Brennelementlagerbeckens ausreichend. Es ist grundsätzlich regelwerkskonform und sicherheitstechnisch zulässig, einen beliebigen der drei Kühlkreisläufe für eine Instandhaltung freizuschalten, wenn die anderen beiden Kühlkreisläufe verfügbar sind.

Im Widerspruch dazu wurden im geänderten Betriebshandbuch die Verfügbarkeitsanforderungen an die Kühlkreisläufe so gestaltet, dass einer der Kreisläufe aus sicherheitstechnischer Sicht als nicht mehr existent zu betrachten ist. Damit konnte nur noch dieser Kühlkreislauf für eine Instandhaltung freigeschaltet werden. Für die anderen beiden Kühlkreisläufe bestand diese Möglichkeit nicht mehr.

Damit die Verfügbarkeitsanforderungen an das Beckenkühlsystem wieder regelwerkskonform sind und sicherheitstechnisch notwendige Instandhaltungsmaßnahmen im Einklang mit dem Betriebshandbuch möglich sind, muss das Betriebshandbuch erneut geändert werden. Die unzureichenden Betriebsvorschriften, deren Änderung nun erforderlich ist, begründet die Meldepflicht dieses Ereignisses.

Bei der Analyse der Ursachen ist insbesondere zu untersuchen, warum die Unzulänglichkeiten der neuen Betriebsvorschriften nicht bereits im Änderungsverfahren erkannt wurden und warum der Betreiber die Instandhaltungsmaßnahme freigegeben hat, obwohl sie dem gültigen Betriebshandbuch widersprach.

Einstufung durch den Genehmigungsinhaber: Meldekategorie N (Normalmeldung); INES 0 (keine oder sehr geringe sicherheitstechnische Bedeutung).

Ergänzende Informationen für die Redaktionen

Die für die kerntechnische Sicherheit bedeutsamen Ereignisse sind den atomrechtlichen Aufsichtsbehörden der Länder nach den bundeseinheitlichen Kriterien der Atomrechtlichen Sicherheitsbeauftragten- und Meldeverordnung – AtSMV zu melden. Ziel des Meldeverfahrens ist, den Sicherheitsstand der Kernkraftwerke zu überwachen, dem Auftreten ähnlicher Fehler in anderen Kernkraftwerken vorzubeugen und die gewonnenen Erkenntnisse in sicherheitstechnische Verbesserungen einfließen zu lassen.

Die meldepflichtigen Ereignisse sind unterschiedlichen Kategorien zugeordnet (Erläuterungen zu den Meldekriterien für meldepflichtige Ereignisse):

Kategorie S (Unverzügliche Meldung)
Ereignisse, die der Aufsichtsbehörde unverzüglich gemeldet werden müssen, damit sie gegebenenfalls in kürzester Frist Prüfungen einleiten oder Maßnahmen veranlassen kann. Hierunter fallen auch die Vorkommnisse, die akute sicherheitstechnische Mängel aufzeigen.

Kategorie E (Meldung innerhalb von 24 Stunden)
Ereignisse, die der Aufsichtsbehörde binnen 24 Stunden gemeldet werden müssen, damit sie gegebenenfalls in kurzer Frist Prüfungen einleiten oder Maßnahmen veranlassen kann. Hierunter fallen auch die Ereignisse, deren Ursache aus Sicherheitsgründen in kurzer Frist geklärt und gegebenenfalls in angemessener Zeit behoben werden muss. In der Regel handelt es sich dabei um sicherheitstechnisch potentiell - aber nicht unmittelbar - signifikante Ereignisse.

Kategorie N (Meldung bis zum fünften Werktag)
Ereignisse, die der Aufsichtsbehörde innerhalb von 5 Werktagen gemeldet werden müssen, um eventuelle sicherheitstechnische Schwachstellen frühzeitig erkennen zu können. Dies sind in der Regel Ereignisse von geringer sicherheitstechnischer Bedeutung, die über routinemäßige betriebstechnische Einzelereignisse bei vorschriftsmäßigem Anlagenzustand und -betrieb hinausgehen. Unverfügbarkeiten von Komponenten/Systemen, die durch im Betriebshandbuch spezifizierte Prozeduren temporär beabsichtigt herbeigeführt werden, sind nicht meldepflichtig, wenn dies auch in der Sicherheitsspezifikation des Betriebshandbuches entsprechend berücksichtigt ist.

Internationale Bewertungsskala INES: Aufgrund einer Vereinbarung zwischen den Betreibern der Kernkraftwerke und dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit werden meldepflichtige Ereignisse in Kernkraftwerken auch nach der Bewertungsskala INES (International Nuclear and Radiological Event Scale) der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) und der Nuklearenergie-Agentur (NEA) der OECD bewertet. Sie hat eine rasche und für die Öffentlichkeit verständliche Bewertung eines Ereignisses zum Ziel.

Die Skala umfasst sieben Stufen:
1 - Störung
2 - Störfall
3 - ernster Störfall
4 - Unfall mit örtlich begrenzten Auswirkungen
5 - Unfall mit weitergehenden Auswirkungen
6 - schwerer Unfall
7 - katastrophaler Unfall

Meldepflichtige Ereignisse, die nach dem INES-Handbuch nicht in die Skala (1 – 7) einzuordnen sind, werden unabhängig von der sicherheitstechnischen Bedeutung nach nationaler Beurteilung der „Stufe 0” zugeordnet.