BZ: Frau Ministerin, im September 2024 haben Sie gesagt, Baden-Württemberg sei bei der Windkraft auf dem richtigen Weg, die Ziele seien erreichbar. Anfang 2025 hat der Hauptgeschäftsführer der Unternehmer Baden-Württemberg erklärt, das Land sei weit davon entfernt, die notwendige Dynamik zu erreichen. Was stimmt denn jetzt?
Wir sind nicht da, wo wir sein wollten, aber die Dynamik ist vorhanden. Wir haben die Genehmigungszeit auf unter zwölf Monate reduziert, wir sind jetzt führend in Deutschland. Der Koalitionsvertrag sieht vor, die Voraussetzungen für 1000 Windräder zu schaffen. Das haben wir erreicht. Wir haben aktuell 1123 Projekte in der Planung. Die Anzahl der in Betrieb genommenen Anlagen liegt jedoch noch weit unter den Erwartungen. Da müssen wir anerkennen: Der Prozess dauert länger, im Schnitt 27 Monate. Ich bin aber sicher, dass wir in den nächsten Jahren mehr gebaute Anlagen sehen werden. Forciert wird das auch durch Unternehmen, die sich exklusiv Windräder errichten lassen, um ihre Standorte durch günstige Energie zu sichern, etwa Hansgrohe im Schwarzwald und Zeiss bei Aalen. Solche Beispiele zeigen: Ein Windrad ist ein Jobgarant.
BZ: Bei der Ausschreibung für die Förderung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) haben im zweiten Halbjahr 2024 nur drei Projekte aus Baden-Württemberg einen Zuschlag erhalten, mit insgesamt sieben Rotoren. In Betrieb genommen wurden 17 Anlagen – 2016 waren es schon mal 120. Ist da wirklich eine Dynamik?
Das EEG ist heute so aufgebaut, dass die Projekte Ausschreibungen gewinnen, die mit der geringsten Mindestvergütung ins Rennen gehen. Da hat Baden-Württemberg Nachteile mit seiner Geografie. Bei der jüngsten Ausschreibung im Februar haben die Projektierer dennoch fast alle Projekte durchbekommen, nämlich 17. Das zeigt, dass es trotz allem läuft. Wir haben ein paar Herausforderungen mehr als andere Länder. Stärkere Rotmilan-Vorkommen etwa, da forschen wir gerade an Antikollisionssystemen. Auch der Denkmalschutz muss sich bewegen. Dass der Unesco-Status von Baden-Baden von Anlagen in zehn Kilometern Entfernung gefährdet sein soll, erschließt sich mir nicht. Manche Projektierer haben die Regionalplanung abgewartet, um zu sehen, ob sie wirklich in einem der neuen Vorranggebiete liegen. Das soll am 30. September abgeschlossen sein. Anlagen können dann in einem beschleunigten Verfahren genehmigt werden. Die Zeichen stehen gut, dass die vorgestellten Projekte realisiert werden können.
„Wir brauchen überall Windkraft, nicht nur im Norden.”
BZ: Bei den Koalitionsverhandlungen im Bund will die CDU die Wiederinbetriebnahme abgeschalteter Atomkraftwerke prüfen, CDU und SPD gemeinsam auch die Effizienz des sogenannten Referenzertragsmodells bei der Windkraft. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat gesagt, die Abschaffung dieses Modells wäre ein "brutaler Schlag" für die Windkraft in Baden-Württemberg. Sind Sie besorgt?
In Mittelgebirgslagen wie hier in Baden-Württemberg haben wir geringere Windgeschwindigkeiten als an der See. Gleichzeitig ist der Aufbau der Anlagen teurer. Das Referenzertragsmodell berücksichtigt bei der Förderung, dass Projekte hier teurer sind. Das hat sich bewährt. Denn wir brauchen überall Windkraft, nicht nur im Norden. Allein das zu prüfen würde aber wieder Zurückhaltung bewirken; Investoren brauchen planbare Rahmenbedingungen. Dass alternativ Atomkraftwerke wieder eingeschaltet werden, schließen die Ex-Betreiber aus.
BZ: Von 2018 bis 2023 ist der Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung in Baden-Württemberg von 27 auf 52,5 Prozent gestiegen. Allerdings mussten früher nur 15 Prozent des Stroms importiert werden, während es 2023 stolze 44 Prozent waren. Was entgegnen Sie Menschen, die daraus schließen, die Energiewende sei eben einfach nicht realistisch?
Ich entgegne mit Zahlen: 2024 gingen im Land Solaranlagen mit einer installierten Leistung von zwei Gigawatt ans Netz, deutlich mehr als das letzte Atomkraftwerk Neckarwestheim. Baden-Württemberg hat seinen Strom nie komplett selbst produziert, auch mit fünf Akw nicht. Der Import erfolgt größtenteils aus anderen Bundesländern, ins Ausland wird mehr exportiert als umgekehrt. Deshalb wollen wir, dass der Bau der Überlandleitungen in den industriellen Süden beschleunigt wird, die dann Windstrom von Nord nach Süd bringen. Da müssen wir der Atomenergie nicht nachweinen, Erneuerbare haben inzwischen deutlich geringere Stromgestehungskosten. Die Infrastruktur muss nachziehen, aber zwei Drittel dieser Kosten wären für Modernisierungen ohnehin fällig gewesen. Jetzt gibt es endlich den Aufbruch, jetzt müssen wir auch dranbleiben.
Quelle: Badische Zeitung, erschienen am 7. April 2025, 13 Uhr. Das Interview führte Dr. Jens Schmitz.