Was passiert, wenn kein Gas aus Russland mehr fließt? Landesenergieministerin Thekla Walker erklärt die Pläne für den Notfall.
Es gibt derzeit keinen Engpass beim Gas, betont Thekla Walker. Sollte sich die Lage aber ändern, würden private Haushalte bevorzugt beliefert. Unternehmen müssten sich auf Lieferstopps einstellen – „mit gravierenden Konsequenzen“, erklärt die Ministerin im Interview mit der Stuttgarter Zeitung.
Frau Walker, müssen Unternehmen in Baden-Württemberg bald mit Produktionsstopps rechnen, weil das Gas fehlt?
THEKLA WALKER: Im Moment kann davon keine Rede sein. Die Preissteigerungen, die wir sehen, basieren zwar auf der Sorge davor, dass das Gas abgestellt werden könnte. Aber die Lieferungen laufen, es gibt keinen Engpass. Die Unternehmen sind bis auf Weiteres imstande, ihren Bedarf zu decken.
Das könnte sich ändern, falls es doch zu einem Embargo als weitere Sanktion gegen Russland käme oder falls Putin einen Lieferstopp verfügte. Was würde dann passieren?
THEKLA WALKER: Für eine sogenannte Gasmangellage gibt es ein mit der Bundesnetzagentur und den Fernleitungsnetzbetreibern festgelegtes, abgestuftes Vorgehen. Dazu gehören letztlich auch Abschaltszenarien. Manche Industriezweige könnten dann nicht mehr beliefert werden. Es ist aber wichtig zu wissen, dass wir in jeder Lage in einem europaweiten Netzwerk gut abgesichert sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass hier regelrecht die Lichter ausgehen, ist äußerst gering.
Im schlimmsten Fall würde ein Notfallplan aktiviert, der zuerst die Gaslieferung an private Haushalte sicherstellt. Wie steht es um die Unternehmen?
THEKLA WALKER: Generell wird der wesentliche Kern unserer Daseinsvorsorge geschützt: etwa der Lebensmittelhandel, Krankenhäuser, soziale Einrichtungen, auch Gewerbe und Handwerk. Das alltägliche Leben muss weiterlaufen.
Welche Branchen würden als erste von der Gasversorgung abgehängt?
THEKLA WALKER: Es gibt keine branchenspezifischen Abschaltszenarien. Die Industrie schließt zum Teil Gasverträge ab, in denen es für solche Fälle keine hundertprozentige Lieferverpflichtung gibt. Im Gegenzug zahlen die Unternehmen geringere Netzentgelte. Diese Unternehmen wissen, dass sie im schlimmsten Fall damit rechnen müssen, kein Gas zu bekommen. Der Fall ist aber noch nie eingetreten. Klar ist, dass die Konsequenzen gravierend wären – für die gesamte Wirtschaft, die Firmen und ihre Angestellten. Wenn erst einmal ein Stahlwerk stillsteht, weil die Prozesswärme fehlt, stellt sich ja gleich die Frage: Wie lange bleibt das so?
Auch die Chemieindustrie, Metallverarbeitung und Glasproduktion sind in besonderem Maß auf Gas angewiesen . . .
THEKLA WALKER: Oder auch Zement- und Zuckerherstellung – es gibt eine Reihe von energieintensiven Industrien, in denen die Produktion nicht elektrifiziert werden kann und wo wir uns künftig deshalb den Einsatz von grünem Wasserstoff wünschen. Ein Engpass beim Gas wäre für sie aktuell eine große Herausforderung. Deshalb ist die Bundesregierung zu Recht sehr vorsichtig mit dem Instrument eines Embargos. Es muss immer auch bedacht werden: Wie wirksam wäre es, welche Konsequenzen hätte es? Halten wir die anderen Sanktionen noch durch, wenn unsere Wirtschaft total geschwächt wird? Das ist ein wahnsinnig schwieriger Abwägungsprozess. Niemand hat ein Interesse, das System Putin zu stärken. Aber wir haben uns in den vergangenen Jahrzehnten in eine derartige Abhängigkeit von russischen Energielieferungen manövriert, dass man das nicht von heute auf morgen überwinden kann.
Was heißt das konkret?
THEKLA WALKER: Neben dem jetzt noch dringenderen Ausbau der erneuerbaren Energien müssen wir uns kurzfristig so schnell wie möglich durch eine weltweite Diversifizierung der Einkäufe unabhängiger machen. Das ist bei Öl und Kohle einfacher als bei Gas. Aber auch da wird mit Hochdruck auf allen Ebenen daran gearbeitet, dass es zu keinen Ausfällen kommt – etwa durch Einkäufe von Flüssiggas für 1,5 Milliarden Euro und mittelfristig durch den Bau von Flüssiggas-Terminals.
Die zentralen Beschlüsse kommen aus Berlin. Welche Rolle kann die Landesregierung spielen?
THEKLA WALKER: Die Energieminister der Länder sind in engem Austausch mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz unter Robert Habeck. Der Bund muss liefern, aber selbstverständlich kommen dazu Vorschläge aus den Ländern.
Werden Sie die Bevölkerung zum Energiesparen aufrufen?
THEKLA WALKER: Es liegt auf der Hand, dass wir über Energieeffizienz reden müssen. Wenn wir Kohle, Öl und Gas teurer einkaufen als bisher, müssen wir sorgsamer damit umgehen. Ich finde, autofreie Sonntage und ein Tempolimit wären geeignete rationale Maßnahmen. Man könnte Millionen Liter Benzin und Diesel einsparen. Es heißt jetzt immer, es dürfe keine Denkverbote geben. Aber bei dem Thema gibt es sie dann doch – aufseiten der FDP. Alle sollten die ideologischen Scheuklappen ablegen.
Was versprechen Sie sich davon?
THEKLA WALKER: Es ist klar, dass solche Instrumente allein nicht die Probleme lösen. Aber sie können einen Beitrag dazu leisten. Die Heizung um ein Grad runterzudrehen spart sechs Prozent an Gas ein. Wer mit dem Auto nur 90 km/h fährt statt 110, spart 26 Prozent der Spritkosten. Ich glaube, die Menschen sind im Denken schon weiter als die politische Debatte. In der jetzigen Situation mit einem Krieg in Europa muss man alles in Erwägung ziehen, was hilft.
Auch einen Tankrabatt für alle?
THEKLA WALKER: Es ist sicher nicht richtig, unabhängig vom Geldbeutel das Tanken zu subventionieren. Wir müssen gezielt einkommensschwache Haushalte entlasten und gleichzeitig Energie und Emissionen einsparen. Man kann doch nicht die Staatsverschuldung beklagen und gleichzeitig den Villenbesitzer bezuschussen, der mit seinem großen Auto einkaufen geht.
Wäre auch die Verlängerung von Kernkraftwerks-Laufzeiten eine ideologiefreie Debatte wert?
THEKLA WALKER: Wir haben die Debatte offen geführt, auch wenn das uns Grünen nicht leichtgefallen ist – wie übrigens auch der Kauf von Fracking-Gas oder ein längerer Einsatz von Kohle zur Verstromung. Mit Blick auf den nächsten Winter haben wir gesehen, dass eine Laufzeitverlängerung null Effekt bei gleichzeitig hohen Risiken hätte. Es müssten neue Sicherheitschecks gemacht werden, das Personal ist nicht mehr da, die Brennstäbe müssten neu gekauft werden – allein die Lieferung würde eineinhalb Jahre dauern. Deshalb ist das Thema vom Tisch.
Quelle: Stuttgarter Zeitung (veröffentlicht am 17.03.2022). Das Gespräch führte Matthias Schmidt.