Energieversorgung

„Wir haben durchgelüftet“

Stuttgart – Sie gehört zum Kreis jener, die nachfolgen könnten auf Winfried Kretschmann im Amt des Ministerpräsidenten. Als Grünen-Landesvorsitzende hat Thekla Walker 2016 schon den ersten Koalitionsvertrag mit der CDU ausverhandelt. Im Gespräch mit BT-Korrespondentin Brigitte J. Henkel-Waidhofer blickt die Ministerin für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft auf elf Jahre grüngeführte Landesregierungen, auf den weiterhin großen Nachholbedarf Baden-Württembergs, um im Klimawandel zu bestehen, und auf die aktuellen Herausforderungen in der Energieversorgung. Die Laufzeit des Atomkraftwerks Neckarwestheim II zu verlängern, ist für die 52-jährige Mutter von zwei Kindern keine Alternative: „Die Grünen werden ihre Haltung zum Atomausstieg nicht ändern.“

BT: Frau Walker, der Koalitionsvertrag vor elf Jahren war überschrieben mit „Der Wechsel beginnt“. Ist der Wechsel gelungen?

THEKLA WALKER: Davon bin ich überzeugt. Wir haben 2011 einen Wechsel eingeleitet, und der wirkt sich vielfältig im Land aus: in der Umweltpolitik, in der Infrastruktur –
weil Sanierung vor Neubau geht, im Naturschutz oder bei der Stärkung der Artenvielfalt.

BT: Alles Themen, die die Grünen schon immer vertreten haben. Wo sehen Sie den politischen Mehrwert?

THEKLA WALKER: Darin, dass wir diese Themen mit Nachdruck umsetzen und viel investieren. Der Naturschutz-Etat steigt seit 2011 kontinuierlich an, von 30 Millionen Euro auf circa 60 Millionen Euro 2016. 2021 standen für den Schutz der Natur 90 Millionen Euro zur Verfügung. Im neuen Haushalt 2022 steigt die Summe sogar erstmals in der Geschichte des Landes auf über 100 Millionen Euro. Da schaue ich gerne zurück auf 2011 – das ist doch aus damaliger Sicht eine unglaubliche Summe, ein Meilenstein für Baden-Württemberg. Und es ist wirklich nicht der einzige. Wir haben das Land auch gesellschaftspolitisch verändert. Wenn ich etwa an die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare denke, an die Akzeptanz der Vielfalt, die in den Bildungsplänen verankert ist. Wenn ich denke, wo wir 2011 hergekommen sind, dann haben wir wirklich viel abgeschüttelt und verändert.

BT: Entscheidendes aber auch nicht, zum Beispiel beim Ausbau der Erneuerbaren Energien …

THEKLA WALKER: … aber da müssen wir doch erst recht hinschauen, wo wir herkommen. Auch emotional. Die Vorstellungen 2011 waren so verkrustet, denken wir nur an die strikte Ablehnung von Windrädern, weil sie angeblich die Landschaft verspargeln. Das war damals doch wie Mehltau, und wir haben durchgelüftet.

BT: Gerade in der Umweltpolitik ist der Nachholbedarf besonders groß. Dabei ist das Ministerium seit 2011 in grüner Hand. Wie kommt das?

THEKLA WALKER: Der Nachholbedarf ist weiter groß, das stimmt. Aber die Ziele, die wir erfüllen müssen vor dem Hintergrund des Klimawandels, sind auch besonders ambitioniert. Und wir haben keine Wahl, wir müssen sie erreichen. Eine Legislaturperiode ist zu kurz, um das Land zur Klimaneutralität zu führen. Aber es ist unsere Pflicht und unsere Verantwortung, die Weichen zu stellen. Baden-Württemberg ist keine Insel, wir brauchen den Bund, wir brauchen Europa. Da gibt es jetzt ja endlich Rückenwind, um den ganzen Stromsektor umzustellen, um entscheidend voranzukommen bei der Erneuerbaren Wärme oder der Gebäudesanierung.

BT: Alles altbekannte Stichworte, zum Teil seit Ihrer CDU-Vorvorgängerin Tanja Gönner.

THEKLA WALKER: Das stimmt auch. Aber die Dynamik ist neu, weil die Notwendigkeiten unumstritten sind, und zugleich ist der Zeitdruck viel größer geworden. Wir müssen vorankommen, und wir haben die Wirtschaft an unserer Seite. Wer Nachhaltigkeit nicht einpreist, wird auf den globalen Märkten nicht bestehen. Und wer seine Haltung zum Ziel der Klimaneutralität nachschärft, hat einen Wettbewerbsvorteil. Das ist eine inzwischen wirklich breit verankerte Erkenntnis.

BT: Gilt das auch für den Koalitionspartner?

THEKLA WALKER: Warum fragen Sie?

BT: Weil ich an Ihren Kollegen Peter Hauk denke, den Minister für den ländlichen Raum, und die neuen Händel, die Sie in der Regierung haben, weil in seinen Augen mit Blick auf die fehlende Weizenproduktion in der Ukraine Ackerfläche im Land nicht oder deutlich weniger für Photovoltaik verwendet werden soll.

THEKLA WALKER: Ich kann nur alle davor warnen, den Krieg jetzt für eine Rolle rückwärts zu nutzen und die Diskussionen von vorgestern wieder zu führen. Es wird weniger Weizen aus der Ukraine geben. Darauf können wir sinnvoll reagieren zum Beispiel durch weniger Lebensmittelverschwendung. Es ist eine große Frage, wie wir dem Hunger in der Welt begegnen. Aber allen, die glauben, dass weniger Photovoltaik oder weniger Windkraft weiterhilft, kann ich nur sagen, dass knapp zwei Drittel der einschlägigen Flächen in Deutschland für den Anbau von Futtermitteln verwendet werden. Wir können doch jetzt nicht den Kopf verlieren und unsere energiepolitischen Ziele aufgeben. Da gibt es wirklich andere Möglichkeiten.

BT: Die Grünen haben aber keine guten Erfahrungen mit der Idee des Veggie-Day gemacht.

THEKLA WALKER: Die Zeiten haben sich geändert, und es geht auch nicht um einen Veggie-Day. Vielen Menschen ist heute bewusst, dass gesündere Ernährung mit weniger tierischen Erzeugnissen hilft, die für Tierfutter benötigte Getreidemenge zu verringern. Und sie wissen auch, dass eine sichere und langfristige Lebensmittelproduktion nur gelingt, wenn wir Boden, Wasser, Klima und Artenvielfalt schützen.

BT: Verhaltensveränderungen wirken mittel- oder langfristig. Die Preise für Lebensmittel oder Treibstoffpreise steigen aber jetzt. Wie bewerten Sie das Entlastungspaket?

THEKLA WALKER: Ich bin froh, dass die Ampel sich nicht nur aufs Tanken konzentriert, sondern auch Bahnreisende, Familien, Menschen mit sehr wenig Geld und jeden Steuerzahler berücksichtigt. Als Umweltministerin sage ich: Die billigste Energie ist jedoch die, die nicht verbraucht wird. Das Einführen von Energiegeld, die Förderung sauberer Heizungen oder Effizienzstandard 55 beim Neubau ab dem kommenden Jahr sind wesentliche Schritte für mehr Energieeffizienz und den sorgsamen Umgang mit wertvoller Energie.

BT: Sie haben ein Tempolimit und autofreie Sonntage ins Spiel gebracht. Kann das mehr sein als Symbolpolitik?

THEKLA WALKER: Ein Tempolimit oder einfach auch individuell langsamer fahren kann die Kosten bis zu 25 Prozent senken. Im Übrigen habe ich nichts gegen Symbole. An die autofreien Sonntage in den Siebzigern erinnern sich jung und alt. Die waren identitätsstiftend und haben allen klar gemacht, dass sich was ändern muss.

BT: Apropos ändern. Können Sie sich vorstellen, dass Ihre Partei vorübergehend ihre Haltung zur Atomkraft verändert? Neckarwestheim II ist noch am Netz. Sollte das über den Jahreswechsel hinaus so bleiben?

THEKLA WALKER: Nach der Katastrophe von Fukushima vor elf Jahren ist der Ausstieg aus dem Ausstieg aus der Atomkraft aus sehr guten Gründen revidiert worden. Ein Gesamtpaket wurde geschnürt. Das Bundeswirtschaftsministerium hat ganz aktuell die Frage der Laufzeitverlängerungen geprüft im Benehmen mit den betroffenen Ländern, also mit den Bayern, den Niedersachsen und mit uns. Und herausgekommen ist, dass es gerade noch um fünf Prozent der Stromerzeugung in Deutschland geht und eine Laufzeitverlängerung den Aufwand nicht lohnen würde – von aufwändigen Sicherheitsüberprüfungen bis hin zum Kauf von neuen Brennelementen. Nicht von ungefähr sind auch die Betreiber dagegen. Wir werden unsere Haltung nicht ändern.

Quelle: Badisches Tagblatt (veröffentlicht am 26.03.2022). Das Gespräch führte Brigitte J. Henkel-Waidhofer.

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