Kreis Böblingen. Ihre erste Auslandsreise als Ministerin führte die baden-württembergische Umweltministerin und Grünen-Abgeordnete des Wahlkreises Böblingen/Sindelfingen nach Glasgow, wo sie am Rande der Weltklimakonferenz mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann bei Gesprächen innerhalb eines subnationalen Klimabündnisses das Land Baden-Württemberg vertrat. Darüber und ihre Einschätzung zum Weltklimagipfel sprach die SZ/BZ mit der Ministerin.
SZ/BZ: Was macht die baden-württembergische Umweltministerin bei der Weltklimakonferenz in Glasgow? Der geschäftsführenden Bundesregierung zeigen, wo es lang geht?
THEKLA WALKER: „Nein. Am Rande der Weltklimakonferenz trifft sich auf subnationaler Ebene auch die so genannte Under2Coalition, ein internationales Bündnis von Bundesstaaten, Regionen und Provinzen, das im Vorfeld der Weltklimakonferenz 2015 in Paris im Wesentlichen von Baden-Württemberg und Kalifornien angestoßen wurde. Es hat sich zum Ziel gesetzt, die globale Klimaerwärmung unter zwei Grad zu halten. Damals, noch während der Präsidentschaft von Donald Trump, der von Klimazielen nichts wissen wollte und die Erderwärmung eigentlich leugnete, hatte es noch eine ganz andere Bedeutung, dass auf subnationaler Ebene Zeichen gesetzt werden. Doch auch heute wollen wir beim Klimaschutz vorangehen und unsere gemeinschaftlichen Ziele erreichen.“
Wer ist die Under2Coalition und wie funktioniert sie?
THEKLA WALKER: „Dem Bündnis gehören heute über 260 Staaten und Regionen auf sechs Kontinenten an. Es repräsentiert damit mehr als 1,75 Milliarden Menschen aus rund 40 Nationalstaaten und rund 50 Prozent der Weltwirtschaft. Die Mitglieder haben es sich zur Aufgabe gemacht, sich über erfolgreiche Konzepte zum Erreichen der Klimaziele gegenseitig zu informieren und zu unterstützen. Einige Regionen, beispielsweise in Südamerika, wären ohne diese Unterstützung auf verlorenem Posten. Diese Unterstützung kann auch finanzieller Natur sein, um Projekte zu fördern oder auch an den Zusammenkünften teilzunehmen. So ist die Under2Coalition ein wichtiges Bündnis für die Welt geworden.“
Ist dies dann eher ein Zwergenaufstand gegen die Politik der großen Staaten oder mehr subversives Arbeiten an der Basis?
THEKLA WALKER: „Ein Arbeiten an der Basis, und ganz sicher kein Zwergenaufstand, immerhin repräsentieren wir rund die Hälfte der Weltwirtschaftsleistung. Wir sind nicht gegen internationale Abkommen, wir wollen sie unterstützen. Aber wenn diese Abkommen nicht so ambitioniert ausfallen, wie wir uns das vorstellen, dann müssen wir als subnationale Ebene eben ein Zeichen setzen, weiterzumachen.“
Und? Müssen Sie nach Glasgow weitermachen?
THEKLA WALKER: „Die große Konferenz gestaltet sich äußerst schwierig, zumal die Staatschefs Chinas und Russlands, Xi Jinping und Wladimir Putin, nicht dabei sind. Ich sehe Stand heute nicht, dass es gelingen wird, das 1,5 Grad-Ziel von Paris zu hinterlegen. Es herrscht auch nicht einmal Einigkeit darüber, was, wann, wo und wie gemessen wird, um das Erreichen der Ziele zu überprüfen. Wenigstens hat sich die Konferenz zu einer finanziellen Unterstützung der Staaten durchgerungen, die besonders unter dem Klimawandel leiden.“
War die Weltklimakonferenz also für die Katz?
THEKLA WALKER: „Ich glaube nicht wie beispielsweise Greta Thunberg, dass alles am Ende nur Blablabla war. Aber es wird nicht genug sein, deshalb müssen wir auf subnationaler Ebene weiter vorangehen und auf unserer Ebene konkrete Maßnahmen umsetzen.“
Wie sind Sie mit der Rolle der geschäftsführenden Bundesregierung zufrieden?
THEKLA WALKER: „Die deutsche Regierung ist in Glasgow nicht so entscheidungsfreudig wie ich mir das wünschen würde. Und im Bereich von Fördermitteln für zentrale Projekt im klimaneutralen Bereich müsste sie mehr Engagement zeigen.“
Können Sie das konkretisieren?
THEKLA WALKER: „Deutschland setzt sich für ehrgeizige Klimaziele ein. Aber wenn es ins Detail geht, dann tut sie sich schwer damit, sich zu konkreten Maßnahmen zu bekennen. Es ist der Bundesregierung ja bis zuletzt nicht gelungen, beispielsweise bei Themen wie der Methanreduzierung oder der klimaneutralen Mobilität Allianzen zu schmieden. “
Was kann das Land Baden-Württemberg in diesem Rahmen leisten und wovon kann es profitieren?
THEKLA WALKER: Wir müssen zunächst unseren Beitrag zum Klimaschutz leisten. Denn unser wirtschaftlicher Erfolg basiert auch auf viel CO2, das wir in die Luft geblasen haben. Andererseits profitieren wir von den Erfahrungen anderer Länder — beispielsweise von Schottland mit der Windkraft, Schweden hat wie wir einen Wissenschaftsbeirat für die energiepolitischen Zukunftsfragen. Darüber haben wir nun einen Austausch vereinbart und Kalifornien hat sich schon vor einem Jahr für CO2-freie Mobilität entschieden. Ich finde diese Außen-Perspektive wichtig. Zu sehen, wie stellt man sich in Südaustralien, in Kanada oder auch in Brasilien den Herausforderungen. Das ist wichtig, um einzuordnen, wo wir selber stehen.“
Welche Ziele leiten Sie daraus ab?
THEKLA WALKER: „Wir müssen unsere Hausaufgaben machen – in erster Linie beim Ausbau regenerativer Energien. Dazu müssen wir alle Akteure miteinbeziehen: die Unternehmen, die Landkreise und Kommunen und nicht zuletzt die Bürgerinnen und Bürger. Die Energiewende muss ein gemeinsames Konzept und Ziel sein, nur so kann sie gelingen.“
Wie sehen Sie den Kreis Böblingen in 20 bis 30 Jahren?
THEKLA WALKER: „Ich sehe einen großen Wechsel in der Mobilität. Sowohl in Bussen als auch im Individualverkehr wird es viele elektrische Antriebe geben. In Böblingen und Sindelfingen werden nicht mehr so viele Autos unterwegs sein. Wärme kommt in weiten Teilen aus dem Fernwärmenetz. Und die Unternehmen, die sich mit Energieeffizienz und Digitalisierung beschäftigen, boomen. Ich wünsche mir, dass wir da auch mit unseren kleinen und mittleren Unternehmen die Nase vorn haben. Der Wandel wird neue Jobs schaffen und kann auch für das Handwerk, das neue Ausbildungsberufe schaffen wird, zu einem Boom werden. Und unser großer Konzern hat sich zum Mobilitätsdienstleister gewandelt, der mit einer großen Fahrzeugflotte von E-Mobilen, sowohl im Personen- als auch im Frachtverkehr, unterwegs sein wird. Das ist meine positive Zukunftsvision.“
Eine Vision, die nicht alle Menschen so positiv sehen. Beispielsweise Leute, die um ihre Jobs fürchten, Zukunftsängste haben.
THEKLA WALKER: „Ich kann die Sorgen verstehen. Es werden Arbeitsplätze wegfallen, aber es werden auch viele neue entstehen. Wir brauchen jeden klugen Kopf und jede geschickte Hand. Und wir müssen gemeinsam mit den Betrieben und Unternehmen Wege aufzeigen, wie es gelingen kann, Mitarbeiter zu mobilisieren und zu qualifizieren. Darüber hinaus müssen wir die Menschen motivieren, im privaten Bereich in Wärmepumpen oder Photovoltaik zu investieren. Wer es durchrechnet, der wird sehen: Es lohnt sich wirklich — übrigens nicht nur für Haushalte, sondern auch für Unternehmen.“
Quelle: Sindelfinger Zeitung/Böblinger Zeitung (SZ/BZ) (veröffentlicht am 15.11.2021); Hansjörg Jung