Energiewende

Ministerin Thekla Walker: „Wir müssen alle vor unserer eigenen Haustür kehren“

Ministerin Thekla Walker hofft, dass mit der Regierungsbildung in Berlin nun auch der Transformationsprozess im Energiebereich zügig weitergehen kann. Warum, dass erklärt sie im Gespräch mit Stefanie Schlüter, Staatsanzeiger Baden-Württemberg.

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Ministerin Thekla Walker im Interview

Umweltministerin Thekla Walker hofft, dass mit der Regierungsbildung in Berlin nun auch der Transformationsprozess im Energiebereich zügig weitergehen kann. Im Koalitionsvertrag sieht sie Licht und Schatten. Vor allem Aussagen im Bereich der Windkraft bereiten ihr Sorge, denn sie weiß auch, wie schnell ein Hochlauf wieder abgewürgt werden kann.

Staatsanzeiger: Wie zufrieden sind Sie denn mit dem Koalitionsvertrag von Union und SPD in Berlin mit Blick auf die Energiewende?

Thekla Walker: Wir befinden uns in einer Phase, wo man jeder neuen Regierung Erfolg wünschen muss. Wir brauchen Stabilität und Verlässlichkeit, damit Dinge weiterentwickelt werden können. Das Bekenntnis zum Klimaziel und zur Fortsetzung der Energiewende finde ich erstmal positiv. Alles andere, auch die Instrumente, mit denen die Klimaziele erreicht werden sollen, wird man daran messen müssen.

Auch von einer Absenkung von Netzentgelten und einem niedrigeren Strompreis ist die Rede.

Das sind grundsätzlich keine Neuigkeiten. Finanzierung der Netzentgelte aus dem Haushalt gab es bereits bis zur Klage der CDU/CSU gegen den Klima- und Transformationsfonds. Robert Habeck hatte ein Konzept für einen Industriestrompreis ausgearbeitet. Der soll jetzt kommen. Da werde ich genau darauf achten. Im Interesse der Wirtschaft in Baden-Württemberg müssen diese Ziele eingehalten werden. Dann folgt die Frage: Wie ist das finanzierbar, auch angesichts notwendiger Investitionen?

Zuletzt hatte man den Eindruck von Stillstand. Die Ampel gab es nicht mehr, eine neue Regierung auch nicht.

Solche Situationen sind in einer Zeit, in der man eine Transformation vorantreiben muss, ganz schlecht, weil alle abwarten und schauen, was passiert. Nun können wieder Dinge auf den Weg gebracht werden.

Was gefällt Ihnen an dem Koalitionsvertrag besonders?

Ich finde es gut, dass die Frage Atomenergie abgeräumt worden ist. Es kann nicht sein, dass wir mit einer staatlich finanzierten Firma Ruinen wieder aufbauen. Das würde die Steuerzahler ein irrsinniges Geld kosten und wäre technisch schwer umsetzbar. Positiv ist auch, dass Union und SPD sich zur Stromgebotszone bekennen. Das ist umso wichtiger, als es auf europäischer Ebene Bestrebungen für eine Aufspaltung gibt. Dann würde Strom in Süddeutschland allerdings teurer werden als im Norden. Da wird sich der Bund nun klar dagegen positionieren müssen. Daneben gibt es aber auch Knackpunkte im Koavertrag, die ich kritisch sehe.

Stichpunkt Windkraftausbau?

Sorgen bereitet uns die Überprüfung des Referenzertragsmodells. Danach erhalten windschwächere Standorte eine bessere EEG-Vergütung, damit Windkraft in allen Regionen aufgebaut wird und dadurch weniger Kosten für Netzausbau anfallen. Eine Überprüfung sorgt wieder für Verunsicherung. Investoren fragen sich: Sind die Standorte künftig noch wirtschaftlich, die wir jetzt planen? Wir haben in Baden-Württemberg über 1100 Windkraftanlagen in der Planung. Wir sehen eine Dynamik. Doch die kann – das wissen wir aus der Vergangenheit – schnell wieder abgewürgt werden.

Wie ist denn der aktuelle Stand beim Ausbau der Windkraft? Ans Netz gegangen sind 2024 nur wenige Anlagen.

Der Trend zeigt auch bei den Inbetriebnahmen nach oben. Darüber hinaus: Von den über 1100 Anlagen in Planung sind 149 bereits genehmigt, werden also in den kommenden Jahren gebaut werden. 206 Anlagen sind im Antragsverfahren und 785 wurden den Genehmigungsbehörden als Planung vorgestellt. Davon werden am Ende vielleicht nicht 100 Prozent realisiert. Aber ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten Jahren eine deutliche Beschleunigung des Hochlaufs sehen.

Woran liegt es, dass trotz Genehmigungen bislang erst so wenige Anlagen ans Netz gegangen sind?

Wir haben im Moment in der Branche einen Flaschenhals aufgrund von Lieferketten und fehlenden Fachkräften. Zwischen Genehmigung und Inbetriebnahme liegen daher 28 Monate. Ähnliches gilt übrigens auch für den Netzausbau.

Ein wichtiges Standbein mit Blick auf den Klimaschutz ist die Wärmewende. Die größeren Städte in Baden-Württemberg haben bereits Wärmepläne. Doch der Bau von Wärmenetzen kostet viel Geld. Was erwarten Sie da vom Bund?

Ich erwarte auf jeden Fall die Zusage, dass die Bundesförderprogramme stabil und verlässlich bleiben. Derzeit sind wir in Baden-Württemberg in einer Pole-Position, weil wir die Wärmepläne früher als der Bund angeschoben haben. Zugleich ist es wichtig, dass wir Druck machen, dass Kommunen oder Stadtwerke privates Kapital für solche Investitionen mobilisieren können. Wir brauchen eine sichere, langfristige Finanzierung von Wärmenetzen.

Baden-Württemberg will fünf Jahre vor dem Bund und zehn Jahre vor der EU klimaneutral sein. Gleichzeitig droht bereits eine Verfehlung der Ziele bis 2030. Werden Sie an dem Ziel festhalten?

Ich halte nichts davon, von einem Ziel abzurücken, wenn es mal schwierig wird. Ich glaube, dass es für unsere Wirtschaft im Land, für die Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit gut ist, beim Klimaschutz Tempo zu machen. Je früher wir umstellen, desto unabhängiger sind wir vom fossilen Preisroulette. Ein Wirtschaftsstandort, der auf Innovation setzt, sollte bei klimaneutralen Technologien die Nase vorn haben. Wir sollten uns daher lieber fragen, was wir tun können, um unser Ziel zu erreichen.

Wie geht es im Land weiter? Der Klima-Sachverständigenrat fordert, dass die Landesregierung bei den Maßnahmen zum Klimaschutz nachlegen muss. In der Koalition gibt es aber noch keine Einigung.

Wir arbeiten daran und führen Gespräche. In Baden-Württemberg haben wir ja Sektorenziele. Und ich fühle mich für meinen Sektor, den Energiebereich, verantwortlich. Wir wollen nachsteuern. Es wird oft gesagt, neue Maßnahmen seien teuer. Aber man sollte auch die Gegenkalkulation nicht außer acht lassen: Was kostet es uns, wenn wir die Klimaziele nicht erreichen? Die LBBW spricht in einer Untersuchung davon, dass die durch den Klimawandel verursachten Kosten von heute bis 2050 sich gegenüber den Schäden zwischen den Jahren 2000 und 2020 mindestens verdoppeln werden, im schlimmsten Fall sogar versechsfachen. Es ist ein erheblicher Unterschied, ob wir auf drei Grad oder auf zwei Grad Erhitzung zusteuern.

Sie haben Gelder für zusätzliche Maßnahmen im Haushalt eingestellt. Davon sollen unter anderem die Kommunen profitieren. Wie ist der Stand?

Wir werden den Kommunen mehr Geld in unseren Klimaschutzprogrammen zur Verfügung stellen. Der Klimapakt, den wir gerade mit diesen geschlossen haben, umfasst für 2025 ein Fördervolumen von rund 36 Millionen Euro und für 2026 von rund 46 Millionen Euro.

Union und SPD wollen auch eine glaubwürdige CO₂-Reduzierung mittels zertifizierter Projekte in außereuropäischen Partnerländern nutzen, um zu einer wirtschaftlich tragbaren Reduzierung von Restemissionen zu kommen. Werden Sie diese Möglichkeit auch nutzen oder sogar nutzen müssen?

Wir stehen alle in der Verantwortung, vor unserer eigenen Haustür zu kehren. Die Möglichkeiten, Eigenes nicht zu erfüllen und in anderen Regionen der Welt zu kompensieren, sind so gut wie nicht mehr vorhanden. Wir haben überall das Problem, dass Wälder verschwinden, dass Böden degradieren und damit zu CO₂-Schleudern werden. Verschieben heißt Aufschieben.

Die Koalition ist für den Bau von Gaskraftwerken. Wie stehen Sie dazu?

Wir brauchen solche Reservekraftwerke, die einspringen, wenn Erneuerbare nicht genug liefern. Aber wir müssen darauf achten, dass diese Gaskraftwerke zu einem bestimmten Zeitpunkt auf Wasserstoff umgestellt werden. Wir bauen jetzt ein neues Energiesystem auf. Da muss alles ineinander greifen: erneuerbare Energien und Kraftwerke, die langfristig mit grünem Wasserstoff laufen müssen. Nur dann wird unser Energiesystem klimaneutral und wir alle unabhängig von Gas, dessen Preis ein Spielball von Autokraten ist.

Quelle: Staatsanzeiger Baden-Württemberg, erschienen am Freitag, 2. Mai 2025, 12:00 Uhr. Das Gespräch führte Stefanie Schlüter.