REUTLINGEN. Gerade die Solarpflicht für private Neubauten und bei Dachsanierung war lange Zeit zwischen CDU und Grünen umstritten. Die neue Landesregierung hat sich genau darauf verständigt. Umweltministerin Thekla Walker nennt im GEA-Interview erstmals eine klare Frist, wann diese Vorgaben greifen sollen. Zudem erklärt sie, wie es beim Bau von Windrädern vorangehen soll. Das Zauberwort dabei ist, wie bei den Häuslebauern, die Planungssicherheit.
GEA: Frau Walker, Sie sind auf der Schwäbischen Alb aufgewachsen. Können wir damit rechnen, dass wir die neue Umweltministerin öfters bei uns im Biosphärengebiet sehen?
THEKLA WALKER: Die Schwäbische Alb ist für mich ein schönes Ausflugsziel fürs Wochenende und ein Stück Heimat, weil ich ja in Schelklingen zur Schule gegangen bin. Insofern ist es durchaus denkbar, dass die GEA-Leser mich dort mal antreffen werden.
Sie haben auch eine Ausbildung als Naturpädagogin abgeschlossen. Hat das auch Einfluss auf Ihre Arbeit als Umweltministerin?
WALKER: Die Liebe zur Natur war der Impuls für mich, um in die Politik zu gehen. Dort habe ich gelernt, anhand von praktischen Beispielen zu erklären, warum Klimaschutz und Artenvielfalt so wichtig für unsere Lebensgrundlagen sind.
Ihr großes politisches Projekt ist die Novellierung des Klimaschutzgesetzes. Da wollen Sie Tempo machen. Bis wann wird das Gesetz umgesetzt?
WALKER: Wir müssen beim Klimaschutz schnell vorankommen. Die Zeit drängt. Deshalb haben wir mit unserem Koalitionspartner CDU ein Klimaschutz-Sofortprogramm vereinbart mit konkreten Zielen. Unter anderem wollen wir bis zu 1000 Windräder im Staatswald errichten und die landeseigenen Liegenschaften bis 2030 so umbauen, dass sie sich selbst aus regenerativen Quellen versorgen können. Um das alles zu erreichen, müssen wir manche Ziele und Maßnahmen auch gesetzlich verankern. Zum Beispiel wollen wir im Land bis 2040 klimaneutral werden – bisher war 2050 das Zieldatum. Zwei Prozent der Landesfläche wollen wir für den Ausbau der Erneuerbaren Energien reservieren. Fotovoltaikpflicht wird auch auf private Neubauten und bei grundlegenden Dachsanierungen auf Bestandsgebäude ausgeweitet.
Wann wird das Gesetz fertig?
WALKER: Die Gesetzesvorlage wird von den beiden Regierungsfraktionen voraussichtlich nächste Woche in den Landtag eingebracht. Dadurch wird das Verfahren beschleunigt. Ich gehe davon aus, dass das Klimaschutzgesetz Anfang Oktober vom Parlament beschlossen werden kann.
Die deutsche Umwelthilfe (DUH) hat Bayern, NRW und Brandenburg wegen mangelndem Klimaschutz verklagt. Rechnen Sie auch mit einer Klage?
WALKER: Ich gehe fest davon aus, dass unsere Klimaziele und Vorgaben ausreichen, damit wir nicht verklagt werden. Wir setzen mit unserem Klimaschutzgesetz bundesweit schon Maßstäbe und werden auch eine Task Force einsetzen, damit wir unsere Ziele schnell umsetzen können.
Wie sieht denn diese Task Force konkret aus?
WALKER: Dazu kann ich im Moment noch nichts Genaues sagen, weil wir die Inhalte gerade erst erarbeiten.
Fürchten Sie beim Ausbau der Windkraft einen Konflikt mit den Naturschützern?
WALKER: Auch für mich ist Artenschutz ein wichtiges Thema. Doch man darf Klimaschutz und Artenschutz nicht gegeneinander ausspielen. Für mich ist klar, dass wir in den sogenannten Dichtezentren, wo besonders viele schützenswerte Vogelarten wie der Rotmilan heimisch sind, keine Windräder bauen. Dafür muss man dann aber in anderen Gebieten etwas großzügiger sein und auch Ausnahmeregelungen erlassen, wenn die Gesamtpopulation nicht gefährdet ist. »Wir wollen für mehr Planungssicherheit beim Ausbau der Windkraft sorgen«
Das heißt, die Windräder werden eher auf der Schwäbischen Alb errichtet als am Bodensee?
WALKER: Auch auf der Alb wird es Ecken geben, die sich aus Naturschutzgründen nicht eignen. Aber natürlich auch Gebiete, die für Windräder infrage kommen. Bei der erforderlichen Abwägung zwischen Artenschutz und Klimaschutz wollen wir für mehr Rechtssicherheit sorgen. Natürlich ist es sehr bedauerlich, wenn einzelne Tiere möglicherweise durch ein Windrad zu Tode kommen. Doch die entscheidende Frage ist, ob die Population bedroht ist. Das soll die Grundlage für die Entscheidung über eine Ausnahmegenehmigung sein. Das ist unser Weg, mit dem wir für mehr Planungssicherheit beim Ausbau der Windkraft im Südwesten sorgen wollen.
Warum brauchen wir Windräder in Baden-Württemberg? An der Nordsee weht doch viel mehr Wind.
WALKER: Baden-Württemberg ist ein Industrieland. Es reicht nicht aus, nur den Windstrom aus dem Norden zu importieren, um hier alle zu versorgen. Wir brauchen auch hier Windstrom, um den Strombedarf zu decken. Eine dezentrale klimafreundliche Energieversorgung ist extrem wichtig, auch um die Übertragungsnetze nicht zu überlasten und unseren Beitrag zur Energiewende zu leisten.
Die neue Landesregierung plant eine Solarpflicht für private Neubauten. Gibt es Vorgaben für die Größe der Fotovoltaikanlagen?
WALKER: Es gibt noch keine konkreten Vorgaben. Die müssen wir erst noch in einer Verordnung definieren.
Wann wird die Solarpflicht für private Neubauten konkret in Kraft treten? Wenn jemand jetzt ein Haus baut, muss er ja wissen, mit welchen Kosten und Vorgaben er zu rechnen hat.
WALKER: Ich bin auch der Meinung, dass Häuslebauer Planungssicherheit brauchen. Deshalb bin ich dafür, dass die Solarpflicht für Neubauten erst Mitte 2022 in Kraft tritt. Das wäre ein Kompromiss, der den Menschen ausreichend Zeit lässt, sich auf die neuen Vorgaben einzustellen. Bei Dachsanierungen ist eine andere Frist nötig. Da brauchen die Bürger noch mehr Zeit, um Planungssicherheit zu haben. Deshalb soll die Solarpflicht bei Dachsanierungen erst ab dem 1. Januar 2023 im Land gelten. Grundsätzlich kann man aber sagen: PV-Anlagen auf dem Dach rechnen sich. Ein eigenes kleines Kraftwerk auf dem Dach bringt eine doppelte Rendite. Man spart langfristig Geld und schont das Klima.
Die Region Reutlingen ist besonders stark von Unwetterschäden betroffen. Ist das ein regionales Phänomen oder bereits die Folge des Klimawandels?
WALKER: Klimaforscher sind sehr vorsichtig, bei regionalen Wetterereignissen gleich von Klimawandel zu sprechen. Doch die Häufung der Extremwetterlagen ist ein klares Indiz dafür. Die extremen Wassermassen stellen die Kommunen vor große Probleme. Es müssen Rückhaltebecken gebaut und der Hochwasserschutz an Flüssen verbessert werden.
Das kostet alles Geld. Können die Kommunen mit einer finanziellen Unterstützung durch das Land rechnen?
WALKER: Die Landesregierung unterstützt Kommunen bei der Vorbereitung auf Extremwetterereignisse mit einem Förderprogramm für kommunales Starkregenmanagement. Gemeinden, die ein Konzept für den Umgang mit diesen Extremwetterlagen erarbeiten und dafür bauliche Maßnahmen vornehmen, erhalten einen Zuschuss von bis zu 70 Prozent. Das Land hat dafür bisher 2,5 Millionen Euro bereitgestellt. Sechs Kommunen im Landkreis Reutlingen haben sich auch schon daran beteiligt und Geld dafür erhalten. Das sind Reutlingen, Dettingen, Pfullingen, Eningen, Metzingen und Wannweil. Unsere Botschaft ist: Man muss sich auf diese Extremwetterlagen vorbereiten und das Land hilft dabei.
Brauchen die Kommunen nicht noch mehr Finanzmittel, um sich auf die Veränderungen einzustellen?
WALKER: Ich glaube, dass wir ein sehr gutes Angebot beim Starkregenmanagement machen. Jetzt geht es darum, die Kommunen zu ermutigen, dieses Programm zu nutzen. Das Land stellt darüber hinaus den Kommunen in diesem Jahr für Hochwasserschutzmaßnahmen und Maßnahmen zur naturnahen Entwicklung von Gewässern fast 51 Millionen Euro zur Verfügung.
Wie stehen Sie als neue Umweltministerin zum Parteiausschlussverfahren der Südwest-Grünen gegen den prominenten Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer?
WALKER: Das ist eine Entscheidung der Partei. Ich finde die Diskussion sehr unglücklich und würde lieber über Sachthemen wie Klimaschutz und die Erhaltung der Artenvielfalt sprechen, statt Personaldebatten zu führen.
Quelle: Reutlinger General-Anzeiger (veröffentlicht am 10.07.2021); Davor Cvrlje