Artenschutz

Der Wolf in Baden-Württemberg

Europäischer Wolf - Canis lupus lupus

Thekla Walker ist Ministerin für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft. Sie war von 2011 bis 2016 Landesvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Baden-Württemberg und ist seit 2016 Mitglied des Landtags von BW. Viele wüssten von ihr gerne, wie sie die Zukunft der Wölfe im Ländle sieht. Das Thema Wolf beschäftigt auch viele Jäger in Baden-Württemberg. Deshalb hat die Redaktion der JAGD in BW an vorderster ministerialer Front nachgefragt.

Frau Walker, wie sehr beschäftigt Sie bzw. das Ministerium das Thema Wolf und wie gut sehen Sie sich aufgestellt bei dem Thema?

Das Thema und insbesondere die Debatte um den Wolf beschäftigt uns intensiver als es die Zahl der im Land sesshaften Tiere vermuten lässt. Die ist ja relativ gering. Das liegt meiner Meinung nach auch daran, dass die Debatte, wie man mit den Tieren umgehen soll, doch ziemlich emotional aufgeladen ist. Das kann man an den Reaktionen auf Nutztierrisse sehen. Stellt sich nach den Untersuchungen heraus, dass es ein Wolf war, ist die öffentliche Aufregung in Teilen groß und eine politische Forderung als Reaktion nicht weit. Stellt sich heraus, dass es ein Hund war, findet der Fall in der Öffentlichkeit meist keine weitere Resonanz.

Die Debatte rund um den Wolf berührt die grundsätzliche Frage, wie wir als Gesellschaft zur Natur und Artenvielfalt in unserem Land stehen – wollen wir der Natur wieder mehr Raum geben oder sie streng kontrollieren und regulieren?

Meine Haltung ist klar: Dass einst ausgerottete Tierarten hier wieder heimisch werden, ist ein Prozess, den ich begrüße. Die Artenvielfalt zu fördern, ist eine staatliche Aufgabe und die Rückkehr verloren gegangener Arten ist aus Naturschutzsicht positiv zu sehen.

Zugleich wollen wir auch die Weidewirtschaft schützen, die wir brauchen für die Pflege unserer Kulturlandschaft. Deshalb engagiert sich das Land stark für einen wirksamen und präventiven Herdenschutz. Wir fördern Schutzmaßnahmen für unterschiedliche Tierarten – von Ziegen bis Rindern – und für unterschiedliche topografische Gegebenheiten und unterschiedliche Bedürfnisse auf den Weiden. Die FVA mit ihrem Fachwissen berät die Landwirte ausführlich. Und wir kooperieren mit dem Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverband, dem Naturpark Südschwarzwald und ausgewählten Modell-Betrieben, um gezielt zu schauen, was sich in der Praxis bewährt. Ich bin sicher, dass diese pragmatische, flexible Herangehensweise die richtige Antwort ist – sowohl um die Debatte zu beruhigen als auch um die unterschiedlichen Belange von Naturschutz und Landwirtschaft zusammenzubringen.

Welche Erfahrungen aus anderen Bundesländern mit bereits größeren Wolfspopulationen nehmen Sie mit und wie bereitet sich Baden-Württemberg auf das sehr schnell wachsende Zuwanderungspotenzial an Wölfen vor?

Baden-Württemberg wurde im Vergleich zu anderen Bundesländern erst sehr spät wieder von Wölfen besiedelt. Insofern konnten wir von den Erfahrungen anderer Länder profitieren, sehr viel übernehmen und an die spezifischen Verhältnisse in BW anpassen. Beim Herdenschutzkonzept für Rinder haben wir dagegen den Anfang gemacht, da wir in 2022 einige Risse auch an älteren Jungrindern hatten. Wir haben daher im Frühjahr 2023 Herdenschutzmaßnahmen für Rinder vorgestellt, die wir gemeinsam mit Tierhaltenden entwickelt haben.

Was ich von anderen dagegen definitiv nicht übernehmen werde, ist blanker Aktionismus mit falschen Versprechungen. So sind beispielsweise die teils geforderten „drastischen Bestandsreduzierungen“, eine „aktive Bejagung“ oder auch „wolfsfreie Regionen“ mit dem aktuell geltenden Recht nicht vereinbar. Mir geht es stattdessen um ein besonnenes Handeln, eine offene, ehrliche und sachliche Kommunikation und Information.

In Baden-Württemberg gab es seit 2015 zu- oder durchwandernde Wölfe. Dieses Jahr haben wir die erste Reproduktion im Land. Die Rudelbildung war zu erwarten. Wir haben als nächsten großen Schritt vor, dass wir gemeinsam mit dem MLR eine Konzeption für ein so genanntes Wolfkompetenznetzwerk erarbeiten. In diesem Netzwerk wollen wir möglichst viele Aspekte zum Wolf bündeln und aufeinander abstimmen. Ich stelle mir hier einen sehr breiten Ansatz vor, bei dem viele Bereiche wie Monitoring, Herdenschutz, Öffentlichkeitsarbeit, Tourismus abgedeckt sind und verschiedene Verbände eingebunden werden. Hierzu werden wir auch auf den Landesjagdverband zugehen.

Sehen Sie eine räumliche Beschränkung der Wolfsverbreitung, analog zur Eingrenzung des Rotwildes, als sinnvolles Instrument der Eindämmung von Schäden in der Nutztierhaltung oder gibt es eine andere Strategie, wie Herdenschutz oder die Reduktion der Wölfe, die Sie favorisieren?

Eine räumliche Beschränkung der Wolfsverbreitung im Land ist meines Erachtens nicht sinnvoll. Sie ist rechtlich nicht zulässig und sie bliebe praktisch weitgehend ohne Wirkung, da wir in Baden-Württemberg nur sehr wenige sesshafte und somit weit überwiegend durchziehende Wölfe haben.

Wie Sie wissen, ist Rotwild im Gegensatz zum Wolf eine jagdbare Art. Der Wolf ist hingegen europarechtlich und national besonders streng geschützt. Abschüsse sind nur unter sehr engen, im Bundesnaturschutzgesetz geregelten Voraussetzungen zulässig.

Eine räumliche Beschränkung der Wolfsverbreitung in Baden-Württemberg liefe aber gerade auf eine Bejagung und auf eine Entnahme unter Umgehung der Vorgaben des Bundesnaturschutzgesetzes und der FFH-Richtlinie hinaus. Das wäre rechtlich nicht haltbar.

Bereits 2018, als sich der erste Wolfsrüde im Nordschwarzwald niedergelassen hat, hat mein Amtsvorgänger genau diese Frage nach einer möglichen räumlichen Beschränkung der Wolfsverbreitung an die EU-Kommission gerichtet. Die Antwort war seinerzeit eindeutig: Wolfsfreie Regionen sind nicht zulässig! Die Kommission hat diese Position seither mehrfach bekräftigt.

Insofern stellt sich die Frage nach einer räumlichen Beschränkung der Wolfsverbreitung im Land für mich nicht.

Ich setze zur Eindämmung von Schäden in der Nutztierhaltung vielmehr auf einen wirksamen Herdenschutz. Die Beratung der Nutztierhaltenden durch die FVA ist für die Betriebe kostenfrei und wir fördern in den Wolfspräventionsgebieten die Herdenschutzmaßnahmen sehr umfassend. Dass ein wirksamer Herdenschutz der zentrale Schlüssel zur Minimierung von Schäden ist, zeigt auch die aktuelle Studie der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Wolf. Die Erkenntnisse aus verschiedenen europäischen Ländern zeigen deutlich, dass es entscheidend ist, wie gut oder schlecht vor allem Schafe und Ziegen vor Wolfsübergriffen geschützt werden. Die wirksame Reduktion von Schäden an Nutztieren hängt somit nicht von der Größe oder räumlichen Verbreitung der Wolfspopulation im Land ab.

Wie stellen Sie sich eine Zusammenarbeit mit der Jägerschaft bei diesem wichtigen Thema vor?

Zunächst möchte ich den Jägerinnen und Jägern für ihr großes Engagement beim Wolfs-Monitoring danken. Der FVA werden viele Fotofallenbilder und Wolfssichtungen aus der Jägerschaft gemeldet. Damit ist es uns möglich, das Monitoring so gut durchzuführen. Herzlichen Dank dafür!

Wir sind gut darauf vorbereitet, einen verhaltensauffälligen oder schadstiftenden Wolf in Baden-Württemberg im Einzelfall zu entnehmen. Dafür steht ein spezielles Team zur Verfügung, welches im Falle eines Falles anonym und damit geschützt vor möglichen Anfeindungen tätig werden kann. Trotz dieser Spezialisten benötigen wir die Unterstützung der Jägerschaft bei einer Entnahme und werden im Bedarfsfall auf den Landesjagdverband und die Jägerinnen und Jäger der relevanten Reviere zugehen.

Wie stehen Sie zu einer Aufnahme des Wolfs ins Jagdgesetz?

Ich werbe bei diesem Thema für eine besonnene, sachliche und vor allem ehrliche Sicht auf die Dinge. Im Jahr 2022 gab es in ganz Baden-Württemberg 20 Nutztierrisse, im ersten Halbjahr 2023 bisher sieben. Bei vielen dieser Fälle gab es die reflexhafte Forderung, dass der Wolf doch nun aber endlich mal ins Jagdrecht aufgenommen werden müsse. Solche Forderungen sind aus Sicht der betroffenen Nutztierhaltenden zwar nachvollziehbar, sie wecken jedoch die – falsche – Erwartung, dass Wölfe dann leichter, „unbürokratischer“, getötet werden könnten. Dem ist aber nicht so.

Eine Aufnahme ins Jagdrecht würde nichts am geltenden Schutzstatus des Wolfes ändern. Auch bei einer Aufnahme ins Jagdrecht wäre der Wolf weiterhin nach Naturschutzrecht streng geschützt. Er wäre deshalb dem Schutzmanagement zuzuordnen. Eine Bejagung wäre somit weiterhin grundsätzlich nicht möglich, die Vorschriften des Naturschutzrechts wären auch dann einzuhalten. Im konkreten Fall, dass ein Wolf im Einzelfall doch erlegt werden soll, wären dann aber zwei Behörden zuständig statt eine.

Im Jagdrecht ergeben sich zudem zusätzliche Probleme bei der Jagdberechtigung und Verantwortung der Jägerschaft. In Sachsen etwa untersteht der Wolf dem Jagdrecht. Dort führten aufwendige bürokratische Abstimmungen zu Verzögerungen bei der Tötung des Görlitzer Wolfes.

Die Aufnahme des Wolfes ins Jagdrecht wäre aus meiner Sicht eine Symbolpolitik, die falsche Erwartungen weckt, im Falle eines Falles aber nicht weiterhilft. So was lehne ich ab – auch im Interesse der Jägerinnen und Jäger.

Wenn es in Baden-Württemberg im Einzelfall notwendig ist, einen Wolf zu entnehmen, dann möchte ich, dass dies einer gerichtlichen Überprüfung standhält – im Interesse aller Beteiligten. Die Regelungen des Bundesnaturschutzgesetzes und die klaren Kriterien, wie wir sie in Baden-Württemberg im Managementplan Wolf festgelegt haben, bieten meiner Ansicht nach die beste Gewähr dafür: Einen Wolf, der mehrfach einen zumutbaren, an sich wolfsabweisenden Herdenschutz überwindet oder ein auffälliges Verhalten gegenüber Menschen zeigt, werden wir entnehmen.

Quelle: Jagd in Baden-Württemberg (veröffentlicht: September 2023). Das Interview führten Petra Reidel und Klaus Lachenmaier, Landesjagdverband Baden-Württemberg e. V..