Biodiversität

„Der Biotopverbund geht nicht zulasten der Fläche“

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Biotopverbund

Biodiversität, der Wolf und neue Solarparks: Auf die neue Umweltministerin in Baden-Württemberg, Thekla Walker, wartet ein Berg an Aufgaben. Was hat sie konkret vor? 

Südplus top agrar: Nach zähem Ringen wurde nun auf Bundesebene das neue Insektenschutzgesetz verabschiedet. Frau Walker, sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden? 

THEKLA WALKER: Das Insektenschutzgesetz ist äußerst wichtig, um auf Bundesebene voranzukommen. Für Baden-Württemberg haben wir ja die meisten Regeln schon durch das Biodiversitätsstärkungsgesetz im letzten Jahr eingeführt und damit gehen wir zum Teil noch deutlich weiter. Wichtig war uns, dass unser kooperativer Ansatz nicht durch Bundesregelungen torpediert wird. Das haben wir zusammen mit dem Landwirtschaftsministerium (MLR) und anderen Bundesländern ­erreicht. Darüber bin ich froh.

Sind für den auf Bundesebene gescheiterten Erschwernisausgleich für Flächen außerhalb von Natura 2000-Gebieten Landesmittel denkbar?

THEKLA WALKER: Wir haben bereits Maßnahmen, die auch außerhalb von FFH-Gebieten zum Tragen kommen. Und dieses Angebot werden wir ausbauen. In FFH-Gebieten wird aber mit der neuen Pflanzenschutzanwendungsverordnung der Einsatz von Herbiziden auf Grünland verboten. Ob die Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln in FFH-Gebieten auf Ackerflächen über freiwillige Maßnahmen erfolgreich war, soll 2024 überprüft werden. Ganz offen: Wenn es nicht gelingt, über freiwillige Maßnahmen eine deutliche Reduzierung zu erreichen, dann droht eine Verschärfung der Vorgaben auf Ackerflächen. Das ist nicht unser Ziel!

Die Landwirte fühlen sich beim Thema Artenschutz gegenüber der allgemeinen Gesellschaft zu einseitig belastet. Können Sie das nachvollziehen?

THEKLA WALKER: Ich habe nicht den Eindruck, dass wir die landwirtschaftlichen Betriebe benachteiligen. Ich denke schon, dass wir die gesamte Gesellschaft in die Pflicht nehmen: die öffentliche Hand, Kommunen und Besitzer bzw. Besitzerinnen von Privatgärten oder Eigenheimen. Es gibt eine Vielzahl von Regelungen und Adressaten. Es ist aber sicher so, dass sich Veränderungen bei der Landwirtschaft stärker auswirken als Änderungen bei der Gestaltung von Vorgärten. Es ist ein Unterschied, ob ich in die Betriebsabläufe eines Unternehmens eingreife oder in die Gartengestaltung. Auf der anderen Seite muss man aber auch festhalten, dass die Landwirtschaft einen deutlich größeren Einfluss auf die Biodiversität hat als Vorgärten.   

Obwohl wir mit der Forschung zum Artenschutz erst anfangen, stehen schon jetzt Pflanzenschutzmittel im Fokus. Wo bleiben die wissenschaftlichen Fakten für den Zusammenhang?

THEKLA WALKER: Pflanzenschutzmittel als die einzige Ursache für das Insektensterben in Betracht zu ziehen, wäre genauso falsch, wie ihren Anteil daran ganz zu leugnen. Die Ursachen des Insektensterbens sind vielfältig. Und es gibt dazu auch zahlreiche Studien. Ein wesentlicher Faktor ist der Verlust von Lebensräumen, ein weiterer Faktor ist der Klimawandel. Ein dritter sind aber die Pflanzenschutzmittel. Als Beispiel nenne ich das Bienensterben in der Rheinebene im April 2008. Es starben damals rund 11 500 Bienenvölker, es waren 700 Imker betroffen. Durch Untersuchung der Bienenvölker konnte das Mittel Clothianidin zweifelsfrei als Auslöser identifiziert werden.

Der geplante Biotopverbund wird die Landwirte weitere Flächen kosten und Mehraufwand bei der Pflege bedeuten. Werden sie dafür entschädigt?

THEKLA WALKER: Das ist so nicht richtig. Der Biotopverbund geht nicht zulasten weiterer Flächen. Biotopverbundmaßnahmen sollen gezielt dort stattfinden, wo sie wirken, um zusätzlichen Flächenverbrauch zu vermeiden. Es geht uns um eine produktionsintegrierte Vernetzung der bestehenden Kernflächen, beispielsweise in Form von Trittsteinen. Fest steht: Der Erfolg des Biodiversitätsgesetzes hängt maßgeblich von der Mitwirkung der Kommunen und der Betriebe ab. Wenn wir gemeinsam positive Ergebnisse vorweisen können, zeigen wir, dass der kooperative Ansatz der bessere Weg ist. Dann hat man auch gewichtige Argumente gegen künftige Verschärfungen!

Für Betriebe, die durch das Verbot von Pflanzenschutzmitteln in Naturschutzgebieten existenziell bedroht sind, gibt es eine IP-Plus-Liste mit Produkten, die sie einsetzen dürfen. Hat diese Liste in fünf Jahren noch Bestand?   

THEKLA WALKER: Das Verbot, das Sie ansprechen, ist das einzige echte Verbot im Biodiversitätsstärkungsgesetz. Die betroffenen Betriebe sollen aber nicht in ihrer Existenz bedroht werden. Die IP-Plus-Liste erlaubt deshalb in bestimmten Härtefällen, für die jeweilige Kultur bestimmte Mittel einzusetzen. Alle anderen Betriebe müssen sich an das Verbot halten. Die Liste wird ständig aktualisiert. Es wird sie daher so lange geben, wie die Betriebe sie benötigen.

Wird es unter Ihrer Regierung einen Paradigmenwechsel hin zu dynamischeren Nutzungskonzepten von FFH-Flächen und zu mehr Miteinander mit den Bauern geben?  

THEKLA WALKER: Ich halte nichts von dem Versuch, Klimaschutz und Naturschutz gegeneinander auszuspielen. Wenn wir unseren Kindern eine lebenswerte Umwelt hinterlassen wollen, müssen wir uns um beide große Herausforderungen kümmern. Bei beiden kann die Landwirtschaft wichtige Beiträge liefern. Das Umweltministerium pflegt schon seit Jahren ein enges Miteinander mit den Landwirtinnen und Landwirten. Dies hat sich nicht zuletzt in dem sehr vertrauensvollen Prozess vom Volksbegehren hin zum gemeinsam getragenen Biodiversitätsstärkungsgesetz gezeigt. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch beim Thema FFH gemeinsame Lösungen finden werden.

Baden-Württemberg fördert den Bau von wolfsabweisenden Zäunen großzügig. Der Aufwand für ihren Unterhalt wird bisher aber kaum gedeckt ... 

THEKLA WALKER: Kein anderes Bundesland bietet Fördermöglichkeiten zum Herdenschutz im vergleichbaren Umfang an wie Baden-Württemberg. Auch eine Aufwandsentschädigung für wolfsabweisende Zäune gibt es: Sie wird pauschal erstattet, 1 230 €/km/Jahr bei mobilen Zäunen, bei Festzäunen
235 €/km/Jahr. Es ist möglich, dass diese Pauschale in Einzelfällen den tatsächlichen Aufwand nicht deckt. Da sie erst seit 2021 angeboten wird, halte ich es für sachgerecht, zunächst Erfahrungen in der Anwendung zu sammeln, bevor man die Möglichkeiten der Nachsteuerung sondiert.

Neue Solarparks auf Ackerflächen sorgen derzeit wieder für Diskussionen. Welches Potenzial sehen Sie hier?

THEKLA WALKER: Wir können es uns nicht leisten, den Beitrag aus Freiflächen-Photovoltaikanlagen ungenutzt zu lassen. Bis 2040 wollen wir auf 5 000 ha Landesflächen solche Anlagen realisieren. Das entspricht 0,3 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche und einer Leistung von 4,5 GW. Wollte man die gleiche Energiemenge aus Energiepflanzen gewinnen, müsste man deren Anbaufläche von derzeit 134 000 ha mehr als verdoppeln. Wegen des mit den Anlagen einhergehenden Flächenverbrauchs könnten aber insbesondere bei Ackerflächen Konflikte entstehen. In solchen Fällen kann die Agriphotovoltaik helfen, Konflikte zu reduzieren. Wir setzen daher Impulse für die Installation von Agri-PV-Anlagen und fördern Pilotprojekte. Dabei muss es uns gelingen, die Landwirte und die Gemeinden an den Erträgen zu beteiligen.

Quelle: Südplus top agrar (veröffentlicht am 5.8.2021); Silvia Lehnert