Im Interview mit der Zeitung für kommunale Wirtschaft spricht Umweltministerin Thekla Walker über Hürden beim Ausbau der Windenergie und der Photovoltaik im Südwesten und wie diese überwunden werden können. Das Interview führten Klaus Hinkel und Hans-Christoph Neidlein
Bisher hakt es ziemlich beim Windkraftausbau in Baden-Württemberg, nun soll es vorangehen. Welche Bedeutung hat die Thematik für Sie?
Der Ausbau der Windenergie, der Ausbau der erneuerbaren Energien im Gesamten, ist das Top-Thema für mich in dieser Legislaturperiode. Tatsächlich ist der Ausbau der Windenergie nicht nur in Baden-Württemberg, sondern in ganz Deutschland bisher eher schleppend vorangegangen. Wir hatten zwei sehr gute Jahre, 2016 und 2017, wo wir jeweils um die 120 Anlagen Inbetriebnehmen konnten und damit bundesweit auf Rang fünf lagen – direkt hinter den Küstenländern.
Doch durch das neue Ausschreibungsverfahren auf Bundesebene, was den Südwesten und die Projektierer hier ganz stark benachteiligt hat, kam es zu einem drastischen Einbruch. Uns hat es besonders hart getroffen, weil wir ja als Mittelgebirgsland sehr viel höhere Infrastrukturkosten haben als der flache Norden, die Projektierer aus dem Süden konnten daher bei den Auktionen keine so niedrigen Angebote einreichen wie ihre Konkurrenten. Dazu kommt die mangelnde Bereitschaft zur Bereitstellung von Flächen und auch Widerstände gegen den Ausbau der Windenergie an sich.
Was tun Sie, um bei der Windkraft aufzuholen?
Der wichtigste Punkt ist für uns, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass in den nächsten Jahren mindestens 1000 Windräder im Land gebaut werden können und wir gemeinsam mit dem Bund entsprechende Hürden sukzessive beseitigen können. Es gibt verschiedene Hindernisse in den Genehmigungsverfahren, materiell-rechtlicher Natur, aber auch in der Frage des Verwaltungshandelns und das gehen wir jetzt massiv und entschlossen an. In punkto Flächen haben wir ein Mindestflächenziel von zwei Prozent bereits im neuen Klimaschutzgesetz verankert, als Auftrag auch an die Regionen, dass man diese Flächen planerisch ermöglicht. Und wir wollen als Land auch unsere eigenen Flächen in eine Vermarktungsoffensive bringen, um da schneller voranzukommen.
Und deshalb haben wir gesagt, dass im Staatsforst die nötigen Flächen für 500 der neuen 1.000 Windräder bereitgestellt werden sollen. Die erste Tranche davon ist bereits ausgeschrieben worden, die zweite ist in der Ausschreibung. Das heißt auch hier kommen wir nun Stück für Stück voran. Aber auch der Bund ist gefordert, die Rahmenbedingungen, beispielsweise über ein Windenergie-An-Land-Gesetz, zu verbessern. Die neue Bundesregierung möchte ja auch ein Zwei-Prozent-Flächenziel umsetzen, was uns sehr entgegen kommt. Ich glaube, dass wir da jetzt wirklich gute Bedingungen haben, weil wir jetzt auch endlich Rückenwind aus Berlin spüren.
Ist es denn bei den anvisierten Windkraftprojekten im Staatsforst ausgeschlossen, dass es aufgrund von Protesten und gerichtlichen Einsprüchen nicht zu Verzögerungen kommt? Was macht Sie so optimistisch? Der Wald ist ja in Deutschland heilig.
Das stimmt. Es ist tatsächlich so, dass man nie davor gefeit ist, dass es auch Initiativen geben könnte, die sich dagegen wenden. Aber wir reden ja nicht darüber, dass wir den ganzen Wald mit Windenergieanlagen zupflastern. Es geht lediglich ein Prozent der Gesamtwaldfläche Baden-Württembergs, die für die 500 Windkraftanlagen im Staatswald zusätzlich benötigt werden. Und dabei sollen ja auch die Flächen ausgewählt werden, wo möglichst wenig Konfliktpotenzial besteht. Und je früher und besser wir die Bürger informieren, umso besser kommen wir auch mit den geplanten Projekten durch.
Angesichts der schrecklichen Ereignisse in der Ukraine sehen wir, dass wir uns nur durch den massiven Ausbau der Erneuerbaren unabhängig von Öl und Gas machen können.
Gibt es denn einen Zeitplan für die Realisierung der 500 Windkraftanlagen im baden-württembergischen Staatswald?
Da kann ich Ihnen leider kein Datum nennen, aber das wäre ja auch unredlich. Unser Ziel ist, den Zeitraum für die Realisierung eines Windparks von derzeit sieben Jahren auf mindestens die Hälfte zu reduzieren. Wir haben mit der Task Force Erneuerbare Energien, die wir ins Leben gerufen haben, schon erreicht, dass Antrags- und Planungsunterlagen digital abgegeben werden können, Antragsteller eine schnellere Rückmeldung bekommen und Anträge schneller bearbeitet werden.
Wir haben da schon Einiges auf den Weg gebracht und glauben, dass wir hierdurch schon eine Zeitersparnis von gut zehn Monaten gegenüber dem bisher üblichen Verfahren erreichen. Nun kommt es auf die Projektierer an, wie schnell das Verfahren läuft und wie schnell wir nun vom Bund die rechtlichen Änderungen bekommen. Aber ich denke, dass in 2022 die Voraussetzungen geschaffen werden können, damit wir in den kommenden Jahren wirklich einen deutlichen Anstieg erleben.
Es gibt ja in Baden-Württemberg schon etliche Dialogprojekte zum Ausbau der erneuerbaren Energien. Stehen auch die großen Naturschutzverbände hinter dem geplanten Ausbau der Windkraft im Wald?
Ja, wir führen dazu natürlich viele Gespräche und die Naturschutzverbände stehen auf jeden Fall zu dem Ausbau der erneuerbaren Energien generell und auch gegebenenfalls auch zu solchen Anlagen im Wald, wenn der Natur- und Artenschutz berücksichtigt wird. Das ist ja auch Teil unserer Task Force, dass Fachkonzepte erstellt werden.
Beispielsweise, um zu identifizieren, wo besonders sensible Gebiete aus Sicht des Artenschutzes sind und diese dann eher auszunehmen. Und dass wir uns darum kümmern, dass windkraftsensible Arten in anderen Gebieten mehr geschützt und unterstützt werden. Aber die Naturschutzverbände wissen ja auch, dass am Ende der Klimawandel für den Artenschutz das viel größere Übel ist. Niemand will den Artenschutz gegen den Klimaschutz ausspielen. Im Gegenteil: Wenn wir die Erneuerbaren ausbauen und auf fossile Brennstoffe verzichten können, können wir auch sehr viel besser unsere wunderbare biologische Vielfalt schützen.
Die neue Ampelregierung kündigte auch an, das nötige Personal in den zuständigen Behörden und Gerichten aufzustocken, um Verfahren, vor allem zum Windkraftausbau, zu beschleunigen. Wie wichtig ist das und was können Sie hier als Land tun?
Zum einen haben wir schon entschieden, dass wir einen Senat einrichten wollen, der auf solche Fragen spezialisiert ist und die ganzen Gerichtsverfahren, die damit verbunden sind, gebündelt abwickelt. Und wir wollen auch die Widerspruchsverfahren abschaffen, dass also nicht erst bei der Genehmigungsbehörde nochmals der Widerspruch geprüft wird und es erst dann zu Gericht geht. Aus meiner Sicht führt dies nicht dazu, dass Rechte eingeschränkt werden, denn die jetzige Regelung hat auch nie zu irgendetwas geführt, denn am Ende kam ja doch die Klage. Zudem sind wir dabei, bei den Regierungspräsidien Kompetenzteams aufzubauen, die die Landratsämter bei den Verfahren unterstützen. Dies muss man dann natürlich evaluieren, wie es funktioniert und läuft, denn die Prozesse sollen ja auch digitalisiert werden.
Die Digitalisierung ist ein wesentlicher Aspekt bei der Frage, wieviel Personal man braucht, wenn dann der Hochlauf der Windkraft kommt. Doch ich glaube, dass die Länder insgesamt schon die Erwartungshaltung an den Bund für mehr Unterstützung bei den Klimaanpassungsmaßnahmen, des Ausbaus der Erneuerbaren und von Infrastrukturprojekten haben, wo ja ständig die artenschutz- und immissionsschutzrechtlichen Überprüfungen realisiert werden müssen.
Letztendlich bräuchten wir auch einen Pakt für Klimaanpassung. Da ist so viel zu leisten in den kommenden Jahren, das merke ich auch bei mir im Umweltministerium, es gibt hohe Anforderungen in kurzer Zeit sehr viel zu bewältigen. Hierbei sollte man auch an das erforderliche Personal denken.
Manchenorts gibt es auch Widerstände gegen Photovoltaik-Freiflächenanlagen. Dienen denn diese Maßnahmen auch dazu, mehr Solarparks schneller realisieren zu können?
Ja, absolut. Gerade bei dem Thema Solar geht es auch um das Design des neuen Erneuerbare-Energien-Gesetzes, das auf den Weg gebracht werden soll. Es geht um die Ausschreibungsmengen, die nach oben korrigiert werden müssen, weil wir wesentlich mehr brauchen. Es geht auch darum, dass wir innovative Technologien wie Agri-PV massiv voranbringen müssen. Dass beispielsweise in Landwirt nicht nur Obst und Gemüse, sondern gleichzeitig auch Solarstrom ernten kann.
Das sind alles Fragen, die derzeit im Bund noch nicht vernünftig geregelt sind und wo wir dringenden Handlungsbedarf haben und wo Robert Habeck angekündigt hat, dass er das anpacken und ermöglichen will. Es geht hauptsächlich um eine Politik des Ermöglichens. Für vieles, was jetzt schon läuft oder wo wir schon Forschungsprojekte haben, beispielsweise bei Agri-PV oder Floating-PV, müssen jetzt auch die rechtlichen Rahmenbedingungen und Anreize geschaffen werden, um eine breitere Nutzung zu ermöglichen.
Laut einer Studie der Plattform Erneuerbare-Energien Baden-Württemberg wäre in den kommenden Jahren ein jährlicher Zubau von zwei Gigawatt Photovoltaik im Land nötig, um die von der Ampelkoalition beschlossenen Ausbauziele von 200 GW bis 2030 zu erreichen, mehr als dreimal so viel wie bisher. Eine ziemlich sportliche Herausforderung?
Sportlich auf alle Fälle. Wie schon gesagt, ist es hierbei enorm wichtig, den Deckel für den Ausbau der Freiflächen-Photovoltaik deutlich anzuheben. Allerdings sollte man auch Landnutzungskonflikte im Auge haben und für Solarstrom eher Land nutzen, das nicht vorwiegend für die Erzeugung regionaler Lebensmittel notwendig ist. Deshalb setzen wir uns auch bei uns im Land dafür ein, den Deckel von 100 MW bei Freiflächen-PV auf benachteiligten Flächen komplett aufzuheben.
Jedenfalls muss man schauen, dass Solarparks vernünftig geplant werden können und vernünftige Projekte realisiert werden. Der Bedarf ist groß, es gibt ein hohes Interesse an PV-Freiflächenanlagen im Land, auch von Seiten kleinerer Kommunen – auch für die eigene Versorgung. Gleichzeitig geht es darum, möglichst viele bisher ungenutzte Flächen, auch für die Photovoltaik zu nutzen. Deshalb haben wir ja die PV-Pflicht ins neue Klimaschutzgesetz des Landes geschrieben, damit Photovoltaik – zunächst im Neubau – zum Standard wird. Deshalb finde ich es gut, dass Robert Habeck angekündigt hat, eine PV-Dachpflicht zumindest fürs Gewerbe vorzusehen.
Daneben sind wir auch dabei, die Solarstromerzeugung an Gebäudefassaden, Parkplätzen oder Lärmschutzwänden verstärkt praktisch auf den Weg zu bringen. Denn Baden-Württemberg wird Windenergie brauchen, aber noch mehr sind wir natürlich ein Sonnenland und müssen hier diese Potenziale unbedingt viel besser ausschöpfen.
Quelle: Zeitung für kommunale Wirtschaft (veröffentlicht am 07.03.2022). Das Interview führten Klaus Hinkel und Hans-Christoph Neidlein