Umwelt

„Wir nehmen uns die nötige Zeit“

Umweltminister Franz Untersteller antwortet auf Fragen zum Thema PFC

Bühl. Zum Abschluss der 13-teiligen ABB-Serie rund um das Thema „PFC in Mittelbaden“ beantwortet der baden-württembergische Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) Fragen unserer Mitarbeiterin Patricia Klatt.

Wie beurteilen Sie die momentane Situation im PFC-Skandal?

FRANZ UNTERSTELLER: Zunächst bitte ich Sie sehr, den Begriff Skandal hier nicht zu verwenden. Das ist eine griffige Bezeichnung, aber sie passt einfach nicht. Bei einem Skandal haben wir es in der Regel mit vorsätzlich verursachtem Schaden zu tun, möglicherweise mit dem Versuch, etwas zu vertuschen, oft mit krimineller Energie. Das ist noch nicht nachgewiesen. Was wir aber sicher haben, ist ein PFC-Problem – und zwar ein sehr komplexes. Und wir haben die Schwierigkeit, dass die Kenntnisse und Erkenntnisse zu dieser chemischen Stoffgruppe weltweit alles andere als umfassend sind. Wir stehen vor einem Problem, das erstens nicht auf Baden-Württemberg beschränkt ist, sondern weltweit existiert, und dessen Lösung wir uns, zweitens, erst mühsam erarbeiten müssen. Das ist die Situation und die Aufgabe: analysieren, forschen und dann Abhilfe schaffen – möglichst abgestimmt auf nationaler und internationaler Ebene.

PFC ist ein globales Umweltproblem, und es wird auch nicht verschwinden, wenn hier in der Region endlich irgendwann alles saniert sein wird. Gibt es seitens des Umweltministeriums Planungen, die PFC-Belastung der Umwelt generell zu verringern?

FRANZ UNTERSTELLER: Das Problem muss global angegangen und gelöst werden – aber natürlich arbeiten wir daran mit: vor Ort in den von PFC-Belastungen betroffenen Regionen des Landes, in der baden-württembergischen und deutschen Politik und Wissenschaft, die sich mit der Erforschung und Bearbeitung der PFC-Problematik intensiv befassen, aber auch auf nationaler und auf EU-Ebene. Wir tun, was wir können. Und bei uns im Umweltministerium haben wir eine Kontaktgruppe PFC eingerichtet, die sich umfassend mit der Thematik auseinandersetzt. In dieser Gruppe ist nicht nur die verwaltungsmäßige Abwicklung der bekannten Schadensfälle ein Thema. Vielmehr wird die gesamte Thematik PFC allgemein angegangen.

Die Zuständigkeiten sind auf viele verschiedene Fachbehörden aufgeteilt, obwohl sich alle zwei Monate die Kontaktgruppe trifft, in der sechs verschiedene Behörden vertreten sind. Müsste man sich nicht öfter treffen und wäre das Umweltministerium als übergeordnete Stelle nicht sinnvoll, um die Maßnahmen zu koordinieren und um nach Lösungen auf allen Ebenen zu suchen?

FRANZ UNTERSTELLER: Die Kontaktgruppe leistet genau diese Arbeit. Sie ist ein koordinierendes Gremium unter Federführung des Umweltministers. Das heißt aber nicht, dass wir alles selbst machen können, dafür gibt es in der Tat die Fachbehörden, die auch für die rechtlichen Schritte zuständig sind. Und der Zyklus ist natürlich flexibel. Wenn es nötig sein sollte, die Situation es verlangt, dann sind wir sicher in der Lage, die Kontaktgruppe auch kurzfristiger einzuberufen.

Arbeitet das Ministerium an einer Art Handlungsleitfaden für den Umgang mit bei PFC-Belastungen? Werden die Ergebnisse der Forschungen und Messungen zusammengefasst und veröffentlicht – für die Fachwelt und die „Normal-Interessierten“?

FRANZ UNTERSTELLER: Einen Handlungsleitfaden zu erarbeiten, haben wir nicht geplant, es kann ja auch nicht die Aufgabe eines einzelnen Bundeslandes sein, den Umgang mit der weltweit relevanten PFC-Problematik zu definieren. Damit wären wir auch überfordert. Aber wir haben vieles angestoßen und bearbeiten vieles: Wir erforschen die Ursachen für den PFC-Fall in Mittelbaden: Herkunft, Zusammensetzung der Schadstoffe, Verbreitungswege.

Wir untersuchen mithilfe eines Grundwassermodells die Ausbreitung von PFC im Grundwasser, arbeiten an der technischen Trinkwasseraufbereitung und suchen die beste Methode zur Sanierung der belasteten Flächen, und wir kümmern uns darum, dass niemand Angst haben muss, belastete Lebensmittel zu essen oder belastetes Wasser zu trinken, federführend ist da aber das Landwirtschaftsministerium. Es gibt in Baden-Württemberg eine ganze Reihe von Berichten zu verschiedenen Fragestellungen von Kontaminationen mit PFC in den Umweltmedien. Veröffentlicht sind sie auf der Homepage der LUBW.

Könnte man nicht parallel zu den bis 2021 geplanten Detailuntersuchungen schon erste Sanierungsmaßnahmen einleiten? Schließlich besteht die Gefahr, dass sich die PFC in der Zwischenzeit weiter ausbreiten. Kritiker vermuten, man spiele auf Zeit, weil es möglicherweise 2021 gar nichts mehr zu sanieren geben würde?

FRANZ UNTERSTELLER: Ich verstehe, dass es vielen Betroffenen vor Ort zu langsam geht. Aber der Vorwurf, wir spielten auf Zeit, ist wirklich unzutreffend. Wir nehmen uns die Zeit, die nötig ist, um den komplexen Sachverhalt zu klären und Lösungen zu finden. Da bitte ich um Verständnis und auch um Geduld: Es geht nicht schneller. Es hat doch keinen Sinn, irgendwelche Maßnahmen einzuleiten, die bei näherem Betrachten entweder das Problem nicht lösen oder unbezahlbar sind. Ich bin kein Freund von Aktionismus, und es ist die Crux, dass Mittelbaden der bundesweit erste PFC-Fall solchen Ausmaßes ist und wir niemandem über die Schulter blicken können, um abzuschauen, wie es am besten geht.

Richtig ist, es geht langsam, und richtig ist, das ist unbefriedigend. Nicht richtig ist aber, dass wir damit ein erhöhtes Risiko eingehen. Entscheidend ist doch, dass die Menschen in den mittelbadischen PFC-Gebieten darauf vertrauen können, unbelastetes Wasser zu trinken und unbelastete Lebensmittel zu essen. Und um das zu gewährleisten, haben wir schnell Vorsorge getroffen und einen Prozess etabliert, der das auch künftig sicherstellt. Wir untersuchen an Brunnen und Grundwassermessstellen laufend die Qualität des Wassers. Und wir sorgen dafür, dass keine belasteten Lebensmittel in den Verkauf gelangen. Darüber hinaus beobachten wir auch sehr genau, ob und wie sich die PFC möglicherweise weiter ausbreiten. Wir sind leider noch nicht so weit, die Fläche zu sanieren, aber wir kontrollieren das Problem. Das gibt uns Zeit, die wir für wichtige Untersuchungen und Forschungsarbeiten zu PFC nutzen.

Ein Beispiel: Was wir im Boden und im Wasser messen, sind Schadstoffe aus der Stoffgruppe der PFC. Aber das waren nicht immer diese Schadstoffe,sondern sie sind das Ergebnis chemischer Abbauprozesse. Die Vorläufersubstanz im Boden, den sogenannten Precursor, kennen wir aber noch nicht. Es gibt noch kein chemisches Analyseverfahren dafür. Wir wissen nicht, welche Precursor im Boden sind. Das müssen wir herausfinden, und das braucht Zeit.

Gibt es diesbezüglich Kontakt zu den Papierherstellern, aus deren Produkten die Abfälle möglicherweise stammen und die über die Zusammensetzung der Papierschlämme wissen?

FRANZ UNTERSTELLER: Wenn Sie fragen, ob wir mit den Papierherstellern bei der Aufarbeitung der PFC-Problematik zusammenarbeiten, dann lautet die Antwort Nein. Wenn Fragen auftauchen, bei deren Beantwortung sie uns helfen könnten, stellen wir die natürlich, aber die Bereitwilligkeit zu antworten, ist nicht sehr ausgeprägt. Wir hätten uns zum Beispiel mehr und bessere Informationen gewünscht, wann und in welchen Mengen Papierschlämme mit welchen PFC-Substanzen weitergegeben worden sind.

An der Möhnetalsperre in Nordrhein-Westfalen gab es vor zehn Jahren eine kleinere PFC-Verseuchung. Das dortige Umweltministerium war Auftraggeber für eine Studie, die gesundheitliche Belastungen der Bevölkerung mit PFC untersuchte. Können Sie sich hier etwas Ähnliches vorstellen, zumal die Bevölkerung ja möglicherweise bereits acht bis zehn Jahre vor Bekanntwerden der PFC-Verseuchung unwissentlich belastete Lebensmittel verzehrt hat?

FRANZ UNTERSTELLER: Wir müssen uns selbstverständlich auch mit den gesundheitlichen Auswirkungen von PFC befassen. Aber das müssen belastbare Studien sein, aus denen seriöse Grenzwerte abgeleitet werden können, die dann wiederum ganz konkrete Vorgaben für Maßnahmen im Einzelfall nach sich ziehen. Soweit sind wir zu meinem großen Bedauern aber eben noch nicht. Und zwar weltweit. Die EU hat eine PFC-Verbindung, nämlich PFOS, bereits verboten, bei PFOA ist ein Verbot abzusehen. Forschungsvorhaben zu anderen Verbindungen gibt es. Das Thema ist in Arbeit, und Deutschland ist bei den Bemühungen um eine Regulierung der PFC eine treibende Kraft.

Behörden, Kommunen, Landwirte, Trinkwasserversorger, alle haben hohe Kosten im Zusammenhang mit PFC. Wäre angesichts der Dimension nicht die Einrichtung eines Sonderfonds sinnvoll, um die zu erwartenden sehr hohen Kosten decken zu können, die Rede ist von mehr als zwei Milliarden?

FRANZ UNTERSTELLER: Was soll aus einem solchen Fonds denn bezahlt werden? Sie können doch nicht Rechnungen für die analytischen Untersuchungen des Schadensfalls, die generelle Erforschung von PFC, die Trinkwasseraufbereitung und das Vorerntemonitoring oder die Sanierung von Flächen vorbehaltlos in einen Topf werfen und aus Steuermitteln bezahlen. Im Rechtsstaat gilt das Verursacherprinzip, und das stellt ernsthaft wohl auch niemand in Frage. Wer einen Schaden verursacht hat, muss dafür gerade stehen. Bevor sie den Steuerzahler möglicherweise zur Kasse bitten, ob über einen Sonderfonds oder wie auch immer, muss geklärt sein, wer für die PFC-Schäden die Verantwortung trägt und wie er für die Kosten herangezogen werden kann.

„Raus aus der Fluorchemie“ – können Sie sich für das Land eine Art Vorreiterrolle vorstellen, gerade weil wir uns hier mit den schwer beherrschbaren Folgen und Konsequenzen unser aller „PFC-Bequemlichkeit“auseinandersetzen müssen?

FRANZ UNTERSTELLER: Vorstellbar ist vieles, heißt es auf solche Fragen immer gerne. Und natürlich wäre ein Ausstieg aus der Fluorchemie grundsätzlich wünschenswert. Aber ein Ausstieg muss fachlich und rechtlich sehr gut begründet beziehungsweise politisch gewollt sein. Das ist nicht zuletzt auch eine gesellschaftliche Frage. PFCs sind in Pizzakartons und Coffee-To-Go-Bechern, damit sie nicht aufweichen, in Outdoorjacken als Imprägniermittel und in vielen weiteren Alltagsprodukten. Sie haben angenehme Eigenschaften, aber sie werfen auch einen langen ökologischen Schatten. Denn sie verschwinden nicht so schnell wieder, sondern sammeln sich in der Umwelt und in Menschen und Tieren an und manche können sich negativ auf Mensch und Umwelt auswirken.

Wir müssen also eine gesellschaftliche Diskussion führen: Wollen oder müssen wir auf PFCs verzichten? Gibt es Alternativen? So lange wir von den positiven Eigenschaften von PFCs profitieren und entsprechende Produkte nutzen wollen, so lange müssen wir auch die negativen Eigenschaften in Kauf nehmen und können nur versuchen, den möglichen Schaden zu minimieren. Das gilt für den Eisbär wie für uns. Denn auch an den Polkappen sammeln sich bereits PFCs an.

Wenn im Dezember die nächste PFC-Bürgerinfo stattfindet, wäre es dann nicht sinnvoll, wenn das Umweltministerium prominent vertreten wäre – anders gefragt: Werden Sie kommen?

FRANZ UNTERSTELLER: Das weiß ich noch nicht. Das hängt vom Termin und der Struktur der Veranstaltung ab. Wenn es Sinn macht, dass ich dabei bin und es der Terminkalender auch zulässt, komme ich gerne.

Quelle:

Badische Neueste Nachrichten, Patricia Klatt