Klimaschutz

„Klimaaktivisten polarisieren Gesellschaft”

Ministerin Thekla Walker, MdL

Baden-Württembergs Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) übt Kritik an der Bewegung „Letzte Generation“ und wirft ihnen vor, mit ihren Aktionen dem Klimaschutz-Bemühungen zu schaden. Zudem will sich Walker stark machen für die Einführung einer generellen Solarpflicht auf Dächern im Südwesten. Das Interview führte Michael Schwarz.

Frau Walker, wie sparen Sie Energie?

Thekla Walker: Ich habe massiv die Heizung runtergedreht, auf das Allernötigste und schaue, dass sie nicht den ganzen Tag durchläuft. Im Grunde genommen ist es ja banal, die meisten kennen die Möglichkeiten, um Energie einzusparen. Ich hoffe, das wird jetzt zur Gewohnheit. Für Leute, die sehr wenig Geld haben, ist das ja schon immer ein Thema.

Ist das noch nötig? Die Gasspeicher sind doch voll …

Walker: Ja, es ist immer noch nötig. Wir müssen weiterhin einsparen, nur im Konzert der Maßnahmen bekommen wir es hin, dass die Versorgung über den Winter hinweg gesichert ist. Die Industrie hat den Verbrauch bereits stark reduziert, aber auch Verbraucherinnen und Verbraucher tun dies. Im Übrigen ist es auch im Sinne des Klimaschutzes, so effizient wie möglich mit Energie umzugehen.

Wie kommen wir gut durch den Winter 2023/2024?

Walker: Zunächst ist das wichtig, was jetzt schon passiert. Zum einen gehört dazu, dass wir die ersten LNG-Terminals in diesem Winter an den Start bringen, dazu haben wir die Energie-Einkäufe diversifiziert. Weiter sorgt für Stabilität, dass die drei Atomkraftwerke in Deutschland über das Jahresende hinaus am Netz bleiben können. 

Ist das AKW in Neckarwestheim sicher?

Walker: Auch wenn es nur um die Zeit bis zum 15. April 2023 geht, werden wir die Sicherheitsüberprüfungen machen, das bereitet der Betreiber im Moment vor. Die Frage ist noch, wie es weitergeht, also ob es eine Rekonfiguration der Brennelemente geben wird oder ob die bisherigen Brennstäbe mit reduzierter Leistung weiterlaufen.. Das Motto lautet „Sicherheit first“, da können sich die Menschen darauf verlassen. Das gilt, selbst wenn die Anlagen nur ein paar Wochen betrieben werden.

Bleibt es beim Zeitfenster bis Ende April 2023?

Walker: Ja, das ist auch im Sinne der Betreiber. Atomkraftwerke schaltet man nicht einfach an und dann wieder aus. Wir brauchen flexible Energie, also die wir zuschalten können bei Bedarf. Das geht bei Atomenergie nicht, auch macht sie als langfristige Lösung keinen Sinn, weil sie eine teure Hochrisikotechnologie ist.

Zu den Erneuerbaren. Es gibt immer wieder Debatten über die 1000 Windräder, auf die sich Grüne und CDU im Koalitionsvertrag geeinigt haben. Ist es sinnvoll, Zahlen zu nennen?

Walker: Es ist insofern sinnvoll, weil man so eine Zielmarke definiert, um erkennen zu können, wohin die Reise hingehen soll. Wir werden einen hohen Windkraft-Anteil dringend benötigen für die Stromversorgung. Wir werden eher noch mehr als 1000 Windräder brauchen bis hin zur Klimaneutralität des Landes im Jahr 2040. 

In der Gesellschaft nimmt laut Umfragen die Unterstützung für die Erneuerbaren zu. Woran liegt das?

Walker: Durch den Ukraine-Krieg und die Folgen für die Energiepolitik ist ein Ruck durch die Gesellschaft gegangen. Den Menschen wurde klar, dass wir uns unabhängiger machen müssen von Energieimporten. Daher ist der Ausbau der Erneuerbaren zur Sicherheitsfrage geworden. Die Bevölkerung, aber auch kommunale Funktionsträger wie Bürgermeister und Landräte, wollen nun den Ausbau vorantreiben. Das war vor der Krise anders. Menschen reagieren leider meist erst, wenn es eine unmittelbare Bedrohung gibt. Das ist jetzt durch den Krieg der Fall.

Ist zur Durchsetzung des Ausbaus der Erneuerbaren mehr Zentralismus nötig – oder müssen eher die Menschen vor Ort besser eingebunden werden?

Walker: Wir brauchen beides, klare Regeln von oben, die vor Ort aber auch umgesetzt werden können. Ein gutes Beispiel ist die erweiterte Solarpflicht bei uns im Land. Jeder Architekt muss jetzt mitdenken, dass bei Neubauten Solarpanels aufs Dach kommen. Hier haben wir eine Regel klar gesetzt. Diese gilt ja für alle Neubauten und grundlegende Dachsanierungen.

Soll eine generelle Solarpflicht auf allen Dächern im Landes-Klimaschutzgesetz verankert werden?

Walker: Wir haben in der Koalition mit der CDU ausgemacht, dass wir uns im kommenden Jahr zusammensetzen wollen, um zu besprechen, wie man eine solche Regelung am wirksamsten umsetzen kann. Meines Erachtens brauchen wir eine generelle Solarpflicht. Ich könnte mir vorstellen, dass wir hier eine Pflicht einführen, die bis in zehn oder 15 Jahren in jedem Gebäude im Land realisiert werden muss. Hier denke ich vor allem auch an die gewerblichen Flächen. Wir müssen die Flächen, sie sowieso da sind, mit Solar ausstatten, weil sich das ja vor allem auch rechnet und die Energiekosten sinken. Das ist sind primär die Dächer von Häusern und Betrieben. Allerdings haben wir auch einen Fachkräftemangel und Materialknappheit. Diese Probleme müssen wir auch lösen.

Ein Dauerprojekt ist die Stromtrasse Südlink, die nun bis 2028 fertig werden soll. Glauben Sie das?

Walker: Das liegt auch an den Bayern, die Staatsregierung hat die Trasse lange Jahre bekämpft. Es darf nicht sein, dass die Leitung kompliziert um ein Gebiet verlegt wird, nur weil eine Wahl bevorsteht und die Politik Widerständen aus dem Weg gehen will.

Bei der Klimapolitik wird die Ungeduld in der jungen Generation immer größer. Wie bewerten Sie das Vorgehen der Aktivisten der „Letzten Generation“?

Walker: Ich finde es schade, dass durch diese Aktionen keine positive Stimmung für den Klimaschutz erreicht wird, sondern, dass die Menschen inzwischen genervt sind. Müssen der Verkehr aufgehalten oder Kunstschätze beschmutzt werden? Sie erreichen zwar Aufmerksamkeit und ich kann verstehen, dass sie wegen der Klimakrise besorgt sind. Ich kann also die Motive der jungen Menschen verstehen, aber die Aktionen sind nicht zielführend.

Das heißt?

Walker: Ich finde, Fridays for Future hat durch die vielen Demonstrationen viel mehr erreicht und so eine öffentliche Diskussion losgetreten. Aber mit den Aktionen der „Letzten Generation“ ist nichts zu erreichen. Was sie machen, bringt dem Klimaschutz nichts, weil sie sorgen für eine weitere Polarisierung in der Gesellschaft. Polarisierungen haben wir auch in anderen Bereichen der Gesellschaft leider schon zu viele. Ich gehe aber davon aus, dass ihre Aktionen in den nächsten Wochen eher abnehmen werden.

Innenminister Strobl hat die „Letzte Generation“ als Straftäter bezeichnet. Wie sehen Sie das?

Walker: Ich finde, man muss das jetzt auch nicht überdimensionieren, sie ist keine Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung. Das ist ziviler Ungehorsam. Es wird ja keine Gewalt eingesetzt, gleichwohl ist es natürlich zu verurteilen, wenn Kartoffelbrei auf Kunstwerke geschleudert wird.

Quelle: Stimme Mediengruppe (veröffentlicht am 17. November 2022, upgedatet am 18. November 2022); das Interview führte Michael Schwarz