Umwelt

„Es gibt keine schnelle und einfache Lösung bei PFC”

Baden-Baden – Perfluorierte Chemikalien (PFC), den Begriff hat vor 2013 in Mittelbaden wohl kaum jemand gekannt. Seitdem die Verunreinigung von rund 400 Hektar Ackerflächen und teilweise dem Grundwasser mit PFC nach und nach festgestellt wurde, ist die Verunsicherung groß. Man weiß bis heute wenig über die Chemikalie, die zur Behandlung von Stoff oder Papier benutzt wird, um es wasserabweisend zu machen. Auch über die gesundheitlichen Auswirkungen ist wenig bekannt. Mit Hochdruck wird derzeit geforscht, auch an Sanierungsmaßnahmen, wie der baden-württembergische Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) im Gespräch mit BT-Redakteurin Anja Groß betont. Er stellt aber auch klar: „Dieses Problem wird sich nicht schnell lösen lassen.”

Seit drei Jahren beschäftigt PFC die Region. Einer der Vorwürfe lautet, das Umweltministerium und die Fachbehörden würden das Thema nicht ernst genug nehmen. Ärgert Sie das?

FRANZ UNTERSTELLER: Ja, denn dieser Vorwurf ist einfach nicht berechtigt. Ich verstehe die Besorgnis der Menschen in Mittelbaden. Aber wir arbeiten seit drei Jahren intensiv an dem Thema – im Zusammenspiel mit Ministerien und Behörden, haben eine Kontaktgruppe eingerichtet, die sich regelmäßig austauscht. Aber wir reden hier über sein sehr komplexes Thema – und wir mussten in vielen Bereichen bei Null anfangen. Denken Sie beispielsweise nur an Grenzwerte für PFC in Trinkwasser oder Lebensmitteln – die gab es einfach nicht, weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene. Da konnte uns auch niemand helfen, weder beim Bundesinstitut für Risikobewertung noch auf EU-Ebene. Also haben wir im Land selber Vorsorge und Richtwerte entwickelt.

Sie sprechen das Vor-Ernte-Monitoring an und die Richtwerte für die Trinkwasserbelastung.

FRANZ UNTERSTELLER: Ja, es muss heute niemand in der Region Angst haben, dass er Trinkwasser in seinem Haus hat mit hohen oder überhöhten PFC-Werten. Durch das Vor-Ernte-Monitoring ist sichergestellt, dass keine belasteten Lebensmittel in Umlauf kommen.

Im ersten Jahr wurde die belastete Ernte einfach untergepflügt. Können Sie das nachvollziehen?

FRANZ UNTERSTELLER: Schwierig. Aber das müssen die Landwirtschaftsbehörden klären. Zunächst einmal würde ich sagen, ich halte nicht so sehr viel davon, Schadstoffe im Kreislauf zuführen. Darin kann ich auf den ersten Blick keinen Sinn erkennen. Aber wir müssen auch stets die Verhältnismäßigkeit im Auge behalten. Belastete Pflanzen zu entsorgen trägt sehr wenig zur Sanierung bei, kostet aber möglicherweise viel Geld.

Wie kann man denn sicherstellen, dass belastete landwirtschaftliche Erzeugnisse nicht wieder an Tiere verfüttert werden?

FRANZ UNTERSTELLER: Ich gehe davon aus, dass den Landwirten der Begriff der Vernunft bekannt ist. Denn wie schon gesagt, die Sinnhaftigkeit einer Kreislaufwirtschaft erschließt sich mir in Sachen PFC nicht.

Die Frage ist jetzt vor allem, wie man das PFC aus Böden und Grundwasser herausbekommt. Wieweit sind Sie?

FRANZ UNTERSTELLER: Da ist noch viel zu tun. Wir sind dabei, Sanierungsverfahren zu entwickeln, aber um es klar zu sagen: Es gibt keine schnelle und einfache Lösung. Beim Trinkwasser sind wir relativ weit mit der sogenannten Umkehrosmose und dem Einbau von Aktivkohlefiltern. Aber es wird natürlich auch an weiteren Verfahren geforscht

Das heißt, wie die belasteten Flächen saniert werden, dazu gibt es noch gar keine Idee?

FRANZ UNTERSTELLER: Das braucht einfach noch Zeit. Schwer vorstellbar für mich ist, dass auf 400 Hektar der gesamte Boden ausgehoben wird. Die Fachleute rechnen dafür mit Kosten von bis zu über zwei Milliarden Euro. Und dann weiß man noch nicht, wo der ganze belastete Bodenaushub hinkommen sollte. Außerdem forschen wir im Bereich Reinigungstechnologien für das Trinkwasser und entwickeln die Grundwassermodelle weiter, um bessere Prognosen abgeben zu können, wie die Schadstofffahne sich ausbreitet. Anhand dessen kann man überlegen, eventuell zusätzliche Brunnen zu bohren, an denen das Grundwasser über Aktivkohlefilter gereinigt wird.

Wie weit sind denn insgesamt die wissenschaftlichen Untersuchungen zur Bodensanierung?

FRANZ UNTERSTELLER: Wir haben eine ganze Reihe von Maßnahmen in Angriff genommen zur Weiterentwicklung von Analyseverfahren, besonders für vorlaufende Stoffe von PFC.  Wir wissen bis heute noch nicht endgültig, wie hoch das Gesamtinventar auf dieser Fläche von 400 Hektar ist, weil manche der Vorläuferstoffe sich bislang analytisch gar nicht so einfach nachweisen ließen. Eine weitere wichtige Forschungsaufgabe ist, zu klären, welche Pflanzen viel, welche eher wenig PFC aus dem Boden ziehen. Das ist eventuell auch ein Ansatzpunkt für eine Sanierung. Man könnte eine der Pflanzenarten, die viel PFC aus dem Boden ziehen, über mehrere Jahre anbauen. Eventuell könnte man diese Pflanze auch noch energetisch verwerten. Auch das klärt man jetzt gerade in Forschungsvorhaben.

Sie haben anfangs gesagt, es gibt keine einfachen und keine schnellen Lösungen in Sachen PFC. Haben Sie denn eine ungefähre Zeitvorstellung?

FRANZ UNTERSTELLER: Da will ich mich ungern festlegen. Ich bin schon froh, wenn wir in dieser Legislaturperiode Klarheit darüber bekommen, wie die Sanierung dieser 400 Hektar aussehen kann. Aber sie wird mit Sicherheit nicht am Ende der Legislaturperiode abgeschlossen sein. Wir reden da über ein langes Verfahren. Wir müssen ja auch berücksichtigen, dass Auswaschungsprozesse noch eine Rolle spielen werden, und allein die dauern Jahre, das weiß man auch von Nitratbelastungen auf Ackerflächen.

Als mutmaßlicher Verursacher der PFC-Belastung in der Region ist der Kompostbetrieb Vogel ins Visier geraten, der mit Papierschlämmen vermischten Kompost an die Landwirte verkauft hat. Wird denn noch nach anderen Verursachern gesucht?

FRANZ UNTERSTELLER: Als das Thema bei uns aufgeschlagen ist, wurden von den zuständigen Behörden alle Dinge abgeprüft, die grundsätzlich infrage kommen: Klärschlamm, Emissionen von Militärflugzeugen, aber auch anderes. Heute können wir sagen, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit so ist, dass die Aufbringung von Kompost mit eingearbeiteten Reststoffen aus der Papierverarbeitung zwischen 2005 und 2008 ursächlich war für die Belastung auf den 400 Hektar, die wir mittlerweile kennen. Ob noch weitere Flächen möglicherweise betroffen sind, weiß ich nicht – bis auf eine weitere Fläche von 90 Hektar bei Mannheim.

Aber diese Vermischung ist damals legal gewesen, oder?

FRANZ UNTERSTELLER: Es laufen staatsanwaltschaftliche Ermittlungen dazu, da will ich mich nicht einmischen.

Dann sprechen wir über das Trinkwasser. Es wird ja derzeit in den belasteten Bereichen – die Wasserwerke Rauental und Förch sind vorsorglich vom Netz genommen worden – von PFC gereinigt und das herausgefilterte, PFC-haltige Konzentrat über den Gewerbekanal wieder in den Kreislauf eingeleitet. Ist das nicht aberwitzig?

FRANZ UNTERSTELLER: Ich sage Ihnen ganz offen: Als ich das zum ersten Mal gehört habe, dachte ich, das kann doch wohl nicht wahr sein. Aber wir reden von Konzentrationen, die schlichtweg vernachlässigbar sind. Unsere Fachleute haben das gemessen – und direkt nach der Einleitungsstelle in den Gewerbekanal ist PFC analytisch praktisch nicht mehr nachweisbar. Weiter unten ist es dann wieder nachweisbar – was wiederum darauf hindeutet, dass ein Teil über Oberflächenabschwemmung aus den belasteten Flächen eingebracht wird – nach Regen beispielsweise. Nun könnte man überlegen, dieses per Umkehrosmose gereinigte Wasser – wir reden von etwa 700 Kubikmetern pro Tag – auch noch zusätzlich über Aktivkohlefiltern zu reinigen. Aber ich frage mich, wie man das den Verbrauchern erklären will: Die Aktivkohlefilter sind teuer und der Effekt geht nachweislich gegen Null. Somit verstehe ich bei näherem Hinschauen, warum man diesen Schritt, den auch ich zunächst nicht nachvollziehen konnte, macht, und ich sage: Ich kann es auch verantworten, dass man so vorgeht.

Und alle hoffen, dass das hinhaut, denn so ganz genau weiß bisher auch niemand, was PFC eigentlich bewirkt.

FRANZ UNTERSTELLER: Das stimmt – und PFC ist auch nicht gleich PFC. Wir reden über kurz- und langkettige PFCs. Die Wissenschaftler haben unterschiedliche Erkenntnisse über beide und es gibt wohl auch unterschiedliche Erkenntnisse darüber, was eigentlich gefährlicher ist für die menschliche Gesundheit – nachdem, was ich so lese, offenbar eher langkettige PFC. In der Region haben wir es eher mit kurzkettigen zu tun, aber darauf verlasse ich mich erst mal nicht. Was ich vor allem deutlich machen will: Die Welt ist in dieser Frage etwas komplizierter, als man es gemeinhin glaubt.

Es wird auch immer wieder der Ruf laut nach einem Gesundheitsmonitoring. Wie stehen Sie dazu?

FRANZ UNTERSTELLER: Das Thema liegt im Zuständigkeitsbereich des Sozialministeriums, da mische ich mich nicht ein. Das Umweltministerium ist zuständig für die technischen Dinge im Zusammenhang mit der Frage der Trinkwasseraufbereitung, nicht für die Trinkwasserqualität – dafür ist das Ministerium für Landwirtschaft zuständig – und für die Frage der möglichen Sanierung der belasteten Böden.

Es klingt bei Ihnen auch ein Vorwurf an Bundesregierung und EU durch. Fühlen Sie sich alleingelassen?

FRANZ UNTERSTELLER: Ich finde, es darf nicht sein, dass Länder – wie wir jetzt hier in Baden-Württemberg – mit so einer Frage alleingelassen werden. Die Entwicklung solcher Grenzwerte beispielsweise ist ja nun wirklich nicht unsere Aufgabe. Dafür gibt es ein Bundesinstitut für Risikobewertung oder die entsprechenden Behörden auf EU-Ebene. Jetzt muss man natürlich sehen, das Thema PFC ist nicht nur für uns neu. Es gibt bis heute global keine Grenzwerte für diese Stoffe.

Gibt es eine Initiative der Landesregierung, um bundeseinheitliche PFC-Grenzwerte zu erhalten?

FRANZ UNTERSTELLER: Wir sind da seit geraumer Zeit schon auf verschiedenen Ebenen unterwegs, sind an leitender Stelle mitvertreten in einer Arbeitsgruppe auf Bundesebene. Sie macht sich auch Gedanken über die Aufgaben der nächsten Legislaturperiode auf Bundesebene – unabhängig davon, wie die Regierung aussehen wird. Ein Anliegen dabei ist, PFC auf Bundesebene einen größeren Stellenwert zu geben. Ich habe ja beschrieben, wie wir bisher auf Landesebene Dinge entwickelt haben, aber das kann keine Dauerlösung sein. Deshalb ist es wichtig, dass der Bund sich mit dieser Thematik befasst. Die Fachleute in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe sitzen zusammen, um zu klären, welche Dinge angegangen werden müssen. Ziel ist, dass die Ergebnisse dieses Prozesses im Koalitionsvertrag der künftigen Bundesregierung berücksichtigt werden.

Müsste es da auch eine engere Verzahnung mit der Wirtschaft geben?

FRANZ UNTERSTELLER: Die gibt es. Ich finde, wir sind da schon ganz schön weit. Weltweit gibt es zum Beispiel nichts Vergleichbares zu REACH, der europäischen Datenbank für chemische Stoffe. Das ist auch ein Kontrollwerkzeug für die Verwendung beziehungsweise das Inverkehrbringen chemischer Stoffe durch die Industrie. Darin sind Hunderttausende Stoffe erfasst – aber offensichtlich immer noch nicht alle.

Müssten sich aus Ihrer Sicht auch die Wasserversorger in der Region besser vernetzen, um vorzusorgen?

FRANZ UNTERSTELLER: Ich glaube, dass da einiges passiert, aber das ist nichts, was wir aus Stuttgart verordnen werden. Wenn aus Vorsorgegründen Leitungen ausgebaut oder Verbünde gegründet werden, ist natürlich denkbar, dass wir das mit Fördermitteln unterstützen. Ich habe den Eindruck, dass die Wasserwerke in der Region sehr verantwortlich mit dem Thema umgehen, denn durch sie ist das ja auch 2013 erst hochgekommen – und die haben umgehend gehandelt, indem sie Brunnen abgeschaltet haben.

Und sie müssen hohe Kosten tragen, um PFC-freies Trinkwasser bieten zu können, und ärgern sich zunehmend über Absagen zu Kostenbeteiligungen – auch aus Ihrem Ministerium. Lassen Sie die ein Stück weit allein?

FRANZ UNTERSTELLER: Nein, aber wir können nicht alle Probleme schultern und lösen. Ich habe leider keinen Tresor bei mir im Umweltministerium, wo ich in Schadensfällen reingreifen und das Geld überbringen kann. Wir haben klare Förderrichtlinien und auch in der Frage des Verhältnisses Land zu den Kreisen und Städten gibt es klare Regularien für Schadenersatz.Im Umweltrecht ist in Deutschland der wesentliche Eckpfeiler das Verursacherprinzip und daran will ich festhalten. Es kann nicht sein, dass die öffentliche Hand und damit die Steuerzahler Schäden begleichen, die andere angerichtet haben. Dennoch: Zum Schluss kann es natürlich sein, dass das Land für die eine oder andere Kostenstelle aufkommen muss.

Die Diskussion kocht auch im Zusammenhang damit hoch, dass Landwirtschaftsminister Peter Hauk jüngst Förderzusagen für den Einbau von Aktivkohlefiltern in landwirtschaftlich genutzten Brunnen gegeben hat.

FRANZ UNTERSTELLER: Wenn der Kollege das Geld dafür hat und dafür ein Förderprogramm entwickeln will, finde ich das erst mal gut. Es ist aber nicht so, dass das Land bisher nichts gemacht hat. Es wurde bereits über eine halbe Million Euro in das Vor-Ernte-Monitoring gegeben und das Land hat auch die Kosten für die Beprobung übernommen. Und die ganzen angesprochenen Forschungsvorhaben müssen auch bezahlt werden.

Quelle:

Badisches Tagblatt GmbH, Anja Groß