Das Umweltministerium legt ein zweites Gutachten zum Sicherheitsstatus des Kernkraftwerks Fessenheim vor. Das Gutachten wurde als Folgegutachten beim Öko-Institut in Auftrag gegeben. 2012 hatte das Umweltministerium auf Basis der Ergebnisse des sogenannten Stresstests, der nach der Reaktorkatastrophe am 11. März 2011 in der japanischen Anlage Fukushima Daiichi auf europäischer Ebene durchgeführt wurde, eine Bewertung des Sicherheitsstatus des grenznahen Kernkraftwerks Fessenheim beim Öko-Institut erstellen lassen. Imersten Gutachten wurden umfangreiche und grundlegende Sicherheitsdefizite im Vergleich zu dem in Deutschland geforderten Sicherheitsniveau und den Sicherheitsreserven der Kernkraftwerke benannt.
In den vergangenen drei Jahren sind in den zwei Kernkraftwerksblöcken in Fessenheim Nachrüstmaßnahmen durchgeführt worden. Diese hat die französische Atomaufsichtsbehörde ASN im Zusammenhang mit der Zehnjahresrevision sowie als sogenannte Post-Fukushima-Maßnahmen gefordert. Das Folgegutachten untersucht nun, in wieweit die 2012 formulierten Sicherheitsdefizite mit den schon durchgeführten oder noch vorgesehenen Nachrüstungen behoben werden oder ob diese bestehen bleiben.
Die Bewertung erfolgte auf der Basis der öffentlich zugänglichen Stellungnahmen des Betreibers des Kernkraftwerks Fessenheim und der französischen Aufsichtsbehörde ASN zu dem Gutachten von 2012 sowie auf Basis der öffentlich dokumentierten Informationen zu den Nachrüstungen. Wie auch bei dem Gutachten 2012 hat das Öko-Institut bei seiner Bewertung die Kriterien herangezogen, die bei der Sicherheitsüberprüfung der deutschen Kernkraftwerke durch die Reaktor-Sicherheitskommission zur Anwendung kamen.
Ergebnisse
Mit den in der Anlage Fessenheim erfolgten und geplanten Nachrüstungen kann der Sicherheitsstatus der Anlage nur bedingt verbessert werden. Das Gutachten weist für das Kernkraftwerk weiterhin teilweise gravierende sicherheitstechnische Defizite aus. Die Nachrüstungen können Schwachstellen aufgrund der Grundauslegung der Anlage nur zum Teil ausgleichen. Ferner sollen einzelne Maßnahmen erst (deutlich) nach 2020 umgesetzt werden. Dieser Zeitraum befindet sich nach dem von der französischen Regierung zugesagten Abschalttermin für das Kernkraftwerk Fessenheim. Das Gutachten stellt also im Vergleich zu den deutschen Kernkraftwerken nach wie vor deutliche Sicherheitsdefizite der Anlagen Fessenheim fest. Im Folgenden werden die wesentlichen Punkte aufgeführt:
Redundanzgrad: Das Sicherheitssystem des Kernkraftwerks Fessenheim ist grundsätzlich zweisträngig (n+1), also einzelfehlerfest, ausgelegt; lediglich bei einzelnen Sicherheitseinrichtungen (zum Beispiel das sekundärseitige Notspeisesystem) wird der Redundanzgrad durch ein unabhängiges System erhöht (n+2). Diese Systeme stehen aber nicht bei allen Anlagenzuständen zur Verfügung. In Deutschland ist als Anforderung ein ungünstig wirkender Einzelfehler sowie eine gleichzeitig wirkende Unverfügbarkeit (etwa durch Instandhaltungsmaßnahmen) unterstellt. Der sich daraus ergebende Redundanzgrad n+2 geht über die international geforderte Einzelfehlerfestigkeit hinaus. Der für deutsche Kernkraftwerke geforderte höhere Redundanzgrad ist auch unter Berücksichtigung von Instandhaltungsregeln als sicherheitstechnischer Vorteil gegenüber Fessenheim zu bewerten.
Vermaschung von Systemen: Alle Stränge des Notspeisesystems ASG und des Volumen- und Chemikalieneinspeisesystems RCV greifen jeweils auf einen einzigen Vorratsbehälter zu und sind in ihren passiven Komponenten auch vermascht (gemeinsame Nutzung von Rohrleitungen). Die Redundanten sind daher nicht vollständig unabhängig. Die Vermaschung verbleibt als sicherheitstechnischer Nachteil bestehen.
Für den Standort Fessenheim liegt – anders als für alle Standorte deutscher Kernkraftwerke – keine probabilistische Erdbebenanalyse vor. Das Gutachten rechnet mit einer derartigen Analyse ab 2020, so dass daraus ggf. resultierende Maßnahmen entsprechend spät implementiert würden.
Neuere Aussagen von EdF sind aus Sicht des Öko-Instituts nicht geeignet, die Überschreitungswahrscheinlichkeit des Sicherheitsbebens der Anlage Fessenheim gegenüber dem 2012 angegebenen Wert von 10-4 pro Jahr (10.000 jährliches Erdbeben) zu ändern. Der von in Deutschland betriebenen Kernkraftwerken geforderte Wert beträgt 10-5 pro Jahr (100.000 jährliches Erdbeben).
Die Notstromversorgung der Anlage Fessenheim ist nicht seismisch qualifiziert, so dass ihre Funktion bei einem anzunehmen Erdbeben nicht gewährleistet ist. Im Rahmen des als „Hardened Safety Core“ bezeichneten Maßnahmenpakets soll ab circa 2020 die Einrichtung des „ultimativen Notstromdiesels“ pro Block erfolgen. In deutschen Anlagen ist bereits jetzt die vorhandene Notstromdieselversorgung erdbebenfest ausgelegt.
Unter der Annahme, dass das von der Reaktor-Sicherheitskommission geforderte Robustheitspotential für deutsche Anlagen von einer Erdbeben-Intensitätsstufe nachgewiesen oder durch geeignete Ertüchtigungen erreicht werden, weist das Kernkraftwerk Fessenheim deutlich geringere Sicherheit auf als die in Deutschland betriebenen Kernkraftwerke.
Nach Ansicht des Öko-Institut würde mit den grundsätzlichen Anforderungen des Hardened Safety Core selbst für dessen Einrichtungen kein der Grundauslegung der deutschen Anlagen gleichwertiges Sicherheitsniveau erreicht werden.
Das Gutachten stellt fest, dass die Grundauslegung der Anlage Fessenheim in Bezug auf den Schutz vor Überflutung vergleichbar mit der Anforderung an deutsche Anlagen ist (10.000 jährliches Hochwasser). Gleichwohl wird darauf verwiesen, dass die Reserven (obwohl gegenüber den im Rahmen des EU-Stresstest angegebenen Werten angestiegen) immer noch deutlich unter den für deutsche Anlagen ausgewiesenen Schutzhöhen liegen.
Für die Einrichtungen des Hardened Safety Core sollen Aussagen des Betreibers zufolge erhöhte Anforderungen bezüglich Überflutung zugrundegelegt werden, so dass sich eine mit deutschen Anlagen vergleichbare Reserve ergeben könnte. Die entsprechenden Maßnahmen sollen aber erst ab 2020 implementiert werden.
Die Brennelement-Lagerbecken sind in Fessenheim in einem separaten Gebäude untergebracht. In den noch im Leistungsbetrieb befindlichen deutschen Druckwasserreaktoren sind die Brennelemente hingegen innerhalb des Containments im Reaktorgebäude untergebracht. Dies gewährleistet eine bessere Zurückhaltung von Spaltprodukten sowie einen besseren Schutz gegen zivilisatorische Einwirkungen von außen. Dieser Sachstand hat sich nicht geändert und bleibt ein sicherheitstechnisches Defizit des Kernkraftwerks Fessenheim.
Die Instrumentierung und Versorgung des Brennelement-Lagerbeckens in Fessenheim ist durch Nachrüstungen verbessert worden. So hat die ASN die Umsetzung von Maßnahmen gegen einen Wasserverlust durch Saughebewirkungen bestätigt. Eine bestehende Füllstandmessung des Lagerbeckens wurde an eine zusätzliche elektrische Energieversorgung angeschlossen. Weitergehende leittechnische Installationen und insbesondere die Einrichtung von festen Rohrleitungssystemen für die Einspeisung in das Lagerbecken sind jedoch erst im Zusammenhang mit dem Hardened Safety Core ab 2020 vorgesehen.
In der Anlage Fessenheim ist eine zusätzliche Gasturbine vorhanden, welche im Notstromfall zur Versorgung von Sicherheitseinrichtungen zugeschaltet werden kann. Diese diversitäre Notstromanlage ist jedoch nur einsträngig für beide Blöcke und damit nicht einmal einzelfehlerfest aufgebaut. Die Gasturbine ist nicht seismisch qualifiziert und nicht gegen seltene Einwirkungen von außen (zum Beispiel Flugzeugabsturz) ausgelegt. Für die in Deutschland noch betriebenen Kernkraftwerke wird gefordert, dass diese eine diversitäre und redundante Notstromanlage für die Sicherheitseinrichtungen aufweisen, welche mindestens einzelfehlerfest und gegen seltene Einwirkungen von außen ausgelegt ist. Die für die Anlage Fessenheim ausgewiesenen Reserven zur elektrischen Energieversorgung sind damit weiterhin deutlich geringer als bei den noch in Deutschland betriebenen Anlagen.
Im Rahmen des Maßnahmenpakets Hardened Safety Core soll bis Ende 2018 ein weiterer sogenannter ultimativer Notstromdiesel pro Reaktor errichtet werden. Die von diesem Notstromdiesel versorgten Einrichtungen des Hardened Safety Core werden allerdings erst nach 2019 errichtet – gegenwärtig hat diese Maßnahme daher keine Bedeutung für den Sicherheitsstatus des Kernkraftwerks Fessenheim.
In deutschen Kernkraftwerken ist jeweils eine diversitäre Wärmesenke vorhanden, mit der neben der Abfuhr der Nachzerfallswärme auch die erforderliche Komponentenkühlung gewährleistet wird. Für die Anlage Fessenheim wurden im Rahmen des EU-Stresstests keine detaillierten Aussagen gemacht, wie bei einem Ausfall der Kühlwasserversorgung die für die Beherrschung des Vorfalls erforderlichen Systeme gekühlt werden können. Die ASN hat entsprechende Anforderungen an die Einrichtungen des Hardened Safety Core gestellt, welche aber erst nach 2019 umgesetzt werden sollen.
Bei einem längerfristigen Ausfall der Nachkühlkette ist nach Einschätzung des Gutachters derzeit davon auszugehen, dass verfahrenstechnische Einrichtungen aufgrund der mangelnden Komponentenkühlung nach einer begrenzten Zeit ausfallen. Zudem ist aufgrund des Ausfalls der Gebäudekühlung davon auszugehen, dass Handmaßnahmen für Reparaturen oder Umschaltvorgänge längerfristig nicht möglich wären. Die Beherrschung eines solchen Ereignisses ist unter diesen Bedingungen nicht gegeben.
Der Gutachter stellt fest, dass die Anlage Fessenheim auch unter Berücksichtigung der ergänzenden Informationen des Betreibers und der Aufsichtsbehörde mit Bezug zur Sicherstellung der sekundärseitigen Wärmeabfuhr und der primärseitigen Einspeisung und Aufborierung unter hohem Druck im Primärkreislauf eine deutlich geringere Robustheit mit Blick auf das Konzept der gestaffelten Sicherheitsebenen aufweist als die in Deutschland betriebenen Druckwasserreaktoren. Eine ähnliche Aussage wird für die Robustheit gegenüber zivilisatorische Einwirkungen getroffen.
Durch die Positionierung sicherheitstechnischer Systeme unter dem Niveau des Rheinseitenkanals können Sicherheitssysteme durch Überflutungen ausfallen. Diese Schwachstelle besteht weiterhin.