Energieversorgung

„Wir stehen alle in der Verantwortung“

Gasdruckmessgerät an Gaspipeline

Im Interview mit der Stuttgarter Zeitung warnt Energieministerin Thekla Walker (Grüne) vor Panik: Privathaushalte seien nach EU-Recht geschützt, das Gas darf nicht einfach abgestellt werden. Aber sie ruft  zum sparsamen Umgang auf: „Wir müssen die Gasspeicher füllen.“ Das Interview führte Reiner Ruf.

Frau Walker, der Ministerpräsident hat für Montag zum Gasgipfel geladen. Was ist davon zu erwarten?

In dieser Krisenzeit ist es wichtig, gezielt zu verabreden, wer welche Zuständigkeit und welche Möglichkeiten hat – und dies transparent zu machen. Wir haben im Augenblick noch eine diffuse Diskussionslage. Die einen Kommunen regeln das Freibad um zwei Prozent herunter, die anderen stellen die Heizung dort ganz ab, die dritten bereiten Wärmehallen für den Winter vor. Diese Maßnahmen haben natürlich alle ihre Berechtigung. Wir wollen in dieser Situation aber zu einem abgestimmten Handeln kommen und Geschlossenheit zeigen: vom Land über die Kommunen bis zu den Wirtschaftsverbänden.

Viele fragen sich: Wer hat eigentlich bei der ganzen Geschichte den Hut auf?

Das ist zentral die Bundesnetzagentur, deren Chef Klaus Müller beim Gipfel auch vertreten sein wird. Wir als Land entscheiden nicht, welche Unternehmen mit welchen Gaslieferungen versorgt werden, sollte der sogenannte Worst Case eintreten: Mit dem Übergang zur letzten Stufe des Notfallplans Gas, der Notfallstufe, übernimmt die Bundesnetzagentur in ihrer Funktion als Bundeslastverteiler die Zuteilung knapper Gasmengen. Gas soll zunächst an den Stellen abgestellt werden, wo das ohne größere Probleme möglich ist – also beispielsweise bei Unternehmen, die eine gewisse Zeit auch ohne diesen Energieträger auskommen können. Die erforderlichen Daten erhebt die Bundesnetzagentur aktuell.

Wie sieht es bei den Privathaushalten aus?

Diese sind nach europäischem Recht geschützt. Es besteht also kein Grund zur Panik. Aber natürlich stehen wir alle als Bürgerinnen und Bürger in der Verantwortung. Mit dem Gasgipfel wollen wir Informationen bereitstellen, was jede und jeder Einzelne machen kann. Es ist keineswegs lächerlich, wenn der Ministerpräsident oder andere Amtsträger  appellieren, das Duschen abzukürzen – von durchschnittlich zehn Minuten auf vielleicht zwei Minuten. Sparen ist obligatorisch, egal was in den nächsten Tagen und Wochen passiert. Auch wenn jetzt zunächst  wieder Gaslieferungen kommen, wissen wir nicht, was in den nächsten Monaten passiert. Wir müssen die Gasspeicher füllen.

Wie viel Gas wird – neben  Prozesswärme für die Industrie – für die Stromproduktion gebraucht?

Das sind 15 Prozent der Stromerzeugung. Diesen Anteil übernehmen vorübergehend Kohlekraftwerke, die in Reserve gehalten wurden und nun reaktiviert werden. Das ist aber wirklich nur eine Notlösung. Die Perspektive ist, die erneuerbaren Energien massiv auszubauen und den Netzausbau weiter voranzutreiben. Atomenergie ist keine nachhaltige Lösung, das beweist unfreiwillig unser Nachbar Frankreich. Dort liegen gegenwärtig mehr als die Hälfte der Atomkraftwerke still. Frankreich braucht Strom aus Deutschland. 

Was bedeutet die Gaskrise für unsere Gesellschaft?

Mir ist wichtig, dass wir die wirtschaftlichen und sozialen Belastungen im Auge behalten. Wichtig ist für mich: gezielte Hilfen, keine Gießkanne. Da steht der Bund in der Pflicht, aber Ministerpräsident Kretschmann hat im Landtag ja erklärt, dass wir, wenn nötig, ebenfalls handeln.

Quelle: Stuttgarter Zeitung (veröffentlicht am 22. Juli 2022); das Gespräch führte Reiner Ruf.

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