Klimawandel

„Es werden sich durch den Klimawandel auch Krankheitserreger etablieren können”

Baumstämme im Forst

Rhein-Neckar. Der gebürtige Heidelberger und in Schwetzingen lebende Andre Baumann (Grüne) ist seit Mai dieses Jahres wieder Staatssekretär im baden-württembergischen Umweltministerium. Dieses Amt hatte der promovierte Biologe (48) bereits von 2016 bis 2020 bekleidet. Davor war er Landesvorsitzender des Nabu.

Rhein-Neckar-Zeitung (RNZ): Herr Baumann, wenn Sie zuletzt durch die Schwetzinger Hardt gelaufen sind, dann müssen Ihnen wahrscheinlich die Tränen gekommen sein, oder?

ANDRE BAUMANN: Ich kenne den Wald seit meiner Kindheit. Und es ist schon wirklich erschreckend, dass selbst die trockenheitsresistenten Kiefern auf großer Fläche absterben. Die Bäume sehen aus, als hätte sie ein Riese verkehrt herum in den Sandboden reingesteckt. An manchen Stellen haben ein Drittel der Kiefern tote Kronen.Und die Kiefern, die noch stehen und grün sind, sind schon so schwach, dass sie die Krone voller Misteln haben.

Die Hitzesommer und der Klimawandel schlagen hier voll zu, und wir sehen durch die Trockenperioden auch massive Schäden bei der Buche, die ja die natürliche Hauptbaumart der Dünenwälder ist. Eine Baumart, die noch halbwegs überleben kann, ist die Eiche, wenn sie von klein auf das Kämpfen gelernt hat. Aber auch sie leidet, weil der Wasserspiegel sinkt und Niederschläge fehlen. Die Schwetzinger Hardt gehört zu den am stärksten betroffenen Wäldern in Baden-Württemberg.

Der Wald wird sich auch in den nächsten Jahren aufgrund des Klimawandels nicht kurzfristig erholen. Im Odenwald mussten schon viele Bäume gefällt werden, weil sie zu sehr geschädigt waren. Gibt es etwas, das Ihnen Hoffnung macht?

ANDRE BAUMANN: Wir müssen mit Bäumen bestimmter Herkünfte arbeiten und auch die Kraft der Natur zulassen. Wenn eine Eiche ein paar Tausende Eicheln wirft, werden vielleicht zwei, drei davon irgendwann mal alte Bäume. Dazu brauchen wir wiederum angepasste Wilddichten. Wenn die Eicheln in Wildschweinmägen landen, dann ist keine Evolution möglich. Das gilt auch für andere Baumarten, bei Buchen sind es zum Beispiel Rehe. Im Odenwald müssen wir versuchen, den Kronenschluss zu halten, das heißt möglichst klein- statt großflächiger Hiebsmaßnahmen, damit das etwas kühlere Waldklima erhalten bleibt.

Tut das Land hier genug?

ANDRE BAUMANN: Wir sind auf dem Weg. Es ist Teil unseres Koalitionsvertrags, dass wir unsere Wälder in den nächsten Jahren fit für den Klimawandel machen. Wälder sind wichtig als kaltluftproduzierende Flächen, als Lebensraum und Rohstofflieferanten. Das heißt aber auch, dass der Wald in den nächsten Jahren nicht das Sparkässle des Landes und der Kommunen ist. Vielmehr müssen wir in den Umbau des Waldes investieren. In den vergangenen Jahren gab es einen immer mehr oder weniger gleichbleibenden Ablieferungsbetrag der Landesforstverwaltung ForstBW. Ob das in Zukunft so sein wird, ist fraglich.

In schlechter Erinnerung ist, wie 2019 im Schwetzinger Schlossgarten sogar der Klimanotstand ausgerufen werden musste. Ist die Anlage mittel- bis langfristig in Gefahr?

ANDRE BAUMANN: In den Hitzesommern haben auch dort die Bäume Schäden genommen. Die sind groß geworden in Zeiten Carl Theodors – aber seither ist der Grundwasserspiegel gefallen. Wir sehen rund um die Feldherrenwiese im Englischen Garten tote Bäume. Das ist für die eine oder andere streng geschützte Käferart toll, aber nur ein kurzfristiger Erfolg für den Artenschutz.

Deshalb bin ich froh, dass das Land gemeinsam mit der Schlossgärtnerei ein Modellprojekt umsetzt, um die Bäume auf den Klimawandel vorzubereiten, also zum Beispiel durch Experimente mit Holzkohle, die länger Wasser und Nährstoffe hält. Dass man sich überlegt, ob man manche Bäume in schwierigen Zeiten maßvoll bewässert, und mit welchen Sorten man arbeitet. Zurzeit sind Hirsch- und die streng geschützten Heldbockkäfer im Schlosspark aktiv. Beide brauchen Eichen. Deshalb ist es wichtig, dass Ende des Jahrhunderts diese klimarobusten Baumart auch noch im Schlossgarten steht. 

Im Rhein-Neckar-Kreis dreht sich noch kein einziges Windrad. Was ist da schiefgelaufen?

ANDRE BAUMANN: Wir haben im Naturraum Odenwald, der zum Rhein-Neckar-Kreis gehört, windhöffige Flächen, das zeigt der aktuelle Windatlas sehr deutlich. Und da erwarte ich von der Raumschaft, dass man auch bei uns der Windkraft substanziell Raum gibt und vorhandene Potenziale nutzt. Die künftige Energieversorgung mit sauberem Strom muss ohne fossile Energieträger auskommen und sie ist dezentral. Jede Region hat die Aufgabe, die Energiewende mit umzusetzen. Das haben wir auch in unseren Koalitionsvertrag festgeschrieben. Der Rhein-Neckar-Kreis muss seiner Verantwortung beim Ausbau der Windkraft gerecht werden. Ich weiß, da gibt es Konflikte – aber die muss man lösen.

Wird das Land Druck machen, wenn nichts passiert?

ANDRE BAUMANN: Ganz klar Ja mit drei Ausrufezeichen, denn wir haben keine Zeit zu verlieren. Im nächsten Jahr werden die letzten Atomkraftwerke wie Neckarwestheim II abgeschaltet und wir wollen den Kohleausstieg bis 2030. Dazu brauchen wir verlässliche Alternativen, wir müssen vor allem im Land die Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen weiter ausbauen. .

Bei der Windkraft zeigt sich ein Dilemma. Wir brauchen erneuerbare Energien, gleichzeitig kritisieren Naturästheten die Verspargelung der Landschaft und sorgen sich Naturschützer um den Bestand gefährdeter Tierarten. Wie wollen sie das lösen?

ANDRE BAUMANN: Den ersten Punkt kann ich nicht lösen. Windräder kann man nicht verstecken. Die stehen nun mal auf dem Berg, sind sichtbar und werden zum künftigen Landschaftsbild gehören, weil sie klimafreundliche Energie liefern, die ja auch dazu beiträgt, dass wir unsere schöne Natur und Artenvielfalt erhalten und schützen können. Früher konnten wir aus fast jedem Winkel Nordbadens die Philippsburger Kühltürme sehen. Ich bin froh, dass die gesprengt wurden, hier kann man anschaulich sehen, wie die alte der neuen Welt Platz macht.

An diesem Standort entsteht nun ein Konverter, der den Windstrom aus dem Norden für uns im Süden nutzbar macht. Ich gehe jede Wette ein: Wenn wir in 50 Jahren etwas Besseres haben und die Windräder abgebaut werden, dann werden Denkmalschützer rufen, man solle die Kulturdenkmäler erhalten.

Und der zweite Punkt?

ANDRE BAUMANN: Wir haben Vogel- und Fledermausarten, die windenergiesensibel sind. Und hier gilt es, ein Sowohl-als-auch hinzubekommen: Windräder und Artenschutz, wir wollen das nicht gegeneinander ausspielen. Der Rotmilan ist windenergiesensibel, weil er bei der Suche nach Mäusen genau auf der Rotorhöhe fliegt. Es ist aber durchaus möglich, den Bestand zu erhalten und die Windenergie kräftig auszubauen.

Wie?

ANDRE BAUMANN: Der Rotmilan ist nicht auf Wind angewiesen. Also sollte  man ihn eher dort fördern, wo sich kein Windrad drehen sollte. Und diese Regionen gibt es im Land. Da sind wir in guten Gesprächen mit Natur- und Umweltverbänden.

Bei Gemmingen bietet sich die Chance, einen 40 Hektar großen Solarpark auf einem Feld zu bauen. Gegner kritisieren, einen Acker zum Anbau von Lebensmitteln für die Module zu opfern. Was sagen Sie?

ANDRE BAUMANN: Da muss man unterscheiden. Bei der normalen Freiflächen-Photovoltaik wird eine freie Fläche mit Solarpanelen verlegt, die stehen dann so halb aufrecht oder schräg. Bei der Agri-Photovoltaik stehen die senkrecht. Das ist der neue Clou. Die Panele bekommen verstärkt die Morgen- und die Abendsonne ab – und man kann sowohl Sonne als auch Obst und Gemüse ernten. Aber neben der Freiflächen- und Agri-PV brauchen wir vor allem auch Solarpanelen oben auf den Dächern, das werden wir sehr schnell im Klimaschutzgesetz voranbringen.

Aber wir brauchen auch Platz für Solarparks auf landwirtschaftlich genutzten Flächen, Deponien und an Autobahnen. Wenn man die Energieausbeute pro Hektar vergleicht mit Biogas, dann sind Freiflächen-Solarparks deutlicher effizienter und aus Naturschutzsicht ein großer Gewinn. Die Fläche ist eingezäunt, da stöbert kein Hund nach den Brutvögeln am Boden, und sie können von Schafen beweidet werden. Das sind Oasen für die Natur, wenn man es richtig macht.

Der neue Entwurf des Regionalplans stößt auf Kritik, weil deutlich mehr Gewerbefläche ausgewiesen werden soll. Hemsbach und Hirschberg haben dies beispielsweise schon abgelehnt. Wie kann es sein, dass solche Planungen im krassen Gegensatz zu den Interessensbekundungen des Landes stehen, das ja weniger Flächenfraß anmahnt?

ANDRE BAUMANN: Wir haben im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass wir an einer Nettonull beim Flächenverbrauch festhalten, also nur so viele neue Flächen verbraucht werden, wie an anderer Stelle entsiegelt werden. Deshalb appelliere ich an die Kommunen, mit Heimat und Fläche maßvoll umzugehen. Natürlich sehe ich, dass wir einen Mangel an bezahlbarem Wohnraum in unserer boomenden Region haben und dass die Mieten durch die Decke schießen.

Was aber vielerorts geplant ist, sind nicht die mehrgeschossigen Gebäude mit Sozialwohnungen, sondern Ein- und Zweifamilienhäuser. Dagegen habe ich nichts, aber wir müssen schauen, wo die Bedarfe sind. Wir werden eine Mediterranisierung des Klimas bekommen und deswegen gilt es jetzt auch, die Hitzeperioden in den Jahren 2050 und 2100 mitzudenken. Wir brauchen hier in Schwetzingen den nächtlichen Zustrom kalter Luft aus dem Neckartal. Das kommt so um 4 Uhr morgens bei mir im Schlafzimmer an. Wenn diese Kaltluft nicht mehr strömt, weil zu hohe Lärmschutzwände oder zu hohe Gebäude im Weg stehen, dann findet man keinen Schlaf mehr.

Besonders hitzegeplagt sind die Menschen etwa in Mannheim. Deshalb hat die Stadt zur Bundesgartenschau 2023 einen Grünzug entwickelt, der für etwas Abkühlung sorgen soll. Könnte das Vorbildcharakter haben?

ANDRE BAUMANN: Wer in tropischen Nächten mal durch Mannheim gegangen ist, der weiß, wie heftig das ist, wie die Menschen nach Kühle lechzen. Und es kann nicht sein, dass in jeder Wohnung die Klimaanlage bollert. So werden wir die Klimawende nie schaffen. Deshalb ist es gut, dass die Stadt Mannheim das Binnenklima schützt. Ich will mal an den Hitzesommer 2003 erinnern. Da gab es unzählige Klimatote bei uns im Oberrheingraben: Geschwächte und ältere Menschen sind gestorben. Wir werden mit noch mehr Hitzetoten rechnen müssen, wenn wir jetzt nicht handeln. 

Im Oberrheingraben sollen in den nächsten Jahren zwei bis drei Jahren Geothermieanlagen entstehen, was Sie begrüßen. Der Widerstand der Bürger ist jetzt schon programmiert. Hadern Sie manchmal mit der Bürgerbeteiligung?

ANDRE BAUMANN: Nein, das gehört zu einer lebendigen, demokratischen Gesellschaft dazu. Bürgerbeteiligung heißt ja, dass man Argumente diskutiert und bestmögliche Lösungen findet. Die Laufzeit des Kohlekraftwerks ist endlich. Deshalb brauchen wir regenerative Alternativen zur Steinkohle. Die tiefe Geothermie ist eine davon.

Und jetzt geht es eben darum, Standorte zu identifizieren, an denen es möglich ist, sichere, bezahlbaren und CO2-freie Wärme zu erzeugen, ohne dass jemand geschädigt wird. Im Bruchsaler Gewerbegebiet wird eine Anlage so betrieben. Wenn man nicht wüsste, dass dort die Wärme aus der Erde genutzt wird, würde es niemand merken. Es gibt im Oberrheingraben zweifellos Seismizität. Wenn man aber mit angepasst niedrigen Drücken nur für die Wärmegewinnung arbeitet, dann passiert nichts.

Die Tigermücke ist auf dem Vormarsch, beispielsweise in Heidelberg, und wird sich in der Region dauerhaft etablieren. Ist das Land darauf vorbereitet?

ANDRE BAUMANN: Es werden sich durch den Klimawandel viele Tier- und Pflanzenarten, aber auch Krankheitserreger etablieren können. Dazu gehört die Tigermücke. Die hat sich im Oberrheingraben verbreitet, in Heidelberg, in Freiburg, und die wird sich in den nächsten Jahren in Baden-Württemberg und auch in anderen Bundesländern ausbreiten.

Wir haben ein Monitoring für solche gefährlichen „Neubürgerinnen und Neubürger” eingeführt, und da müssen jetzt entsprechende Maßnahmen getroffen werden. So werden auf Friedhöfen die Brutstätten der Tigermücken beseitigt. Eine hundertprozentige Sicherheit wird es nicht geben, deshalb ist es so wichtig, dass wir Klimaschutz betreiben. Wir müssen aufpassen, dass wir keine Dengue-Fieber oder Malaria-Ausbrüche im Oberrheingraben haben werden. Das betrifft aber auch Tierarten.

Es wird in Zukunft noch häufiger zu Starkregen und Überschwemmungen kommen. In Mannheim bereitet man sich bereits auf ein Jahrhunderthochwasser vor. Der Rheindamm soll erweitert, dafür aber massenweise alte Bäume gefällt werden. Ist das aus Ihrer Sicht alternativlos?

ANDRE BAUMANN: Hochwasserschutz gehört zu den wichtigsten Aufgaben, weil Starkregenereignisse zunehmen. Die Überschwemmungen an unseren Flüssen werden sich ebenfalls erhöhen. Beim Hockenheimer Hochwasser- und Ökologie-Projekt hat man die Dämme für ein hundertjähriges Hochwasser vorbereitet und dazu noch einen Klimazuschlag oben drauf gesetzt, weil die Hochwasserspitzen tendenziell steigen. In Mannheim haben wir alte Dämme, die für Jahrhunderthochwasser nicht vorbereitet sind. Ich gehe da gerne spazieren, am Rhein, am Strandbad, und das sind wunderschöne alte Bäume, die am Damm stehen. Deshalb kann ich die Anwohner verstehen.

Andererseits: Wenn ein Tiefdruckgebiet über Baden-Württemberg liegt, es über Tage und Wochen regnet und der Rhein anschwillt, der Damm durchweicht und bricht, dann kann das niemand wollen. Ich rate jedem, sich mal die Höhenverhältnisse in den Mannheimer Stadtteilen Lindenhof und Neckarau anzuschauen. Da steht in manchen Gebieten das Wasser meterhoch.

Und dann muss ich auch als Naturschützer sagen, dass wir den Damm auf diese Extremsituation vorbereiten müssen. Das müssen wir tun, um das Leben der Anwohner zu schützen. Das hat Priorität. Natürlich sollen auch wunderschöne alte Bäume entlang des in die Jahre gekommenen Dammes geschützt werden. Ich gehe davon aus, dass im Planfeststellungsverfahren der Spagat zwischen Hochwasserschutz und Baumschutz gut gelöst werden wird.

Quelle: Rhein-Neckar-Zeitung (veröffentlicht am 18.06.2021); Alexander Albrecht

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